
Ein Kassensturz des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) in der Pflegeversicherung zeigt: Die Umsetzung der Pflegestärkungsgesetze ist deutlich teurer als erwartet. Berechnungen des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek) hatten diese Entwicklung frühzeitig vorhergesagt. Auch mit Blick auf aktuelle Gesetzesvorhaben muss der Beitragssatz nun nochmals angehoben werden.
Mit der Einführung einer neuen Definition von Pflegebedürftigkeit im Rahmen des Zweiten Pflegestärkungsgesetzes (PSG II) wurde die Soziale Pflegeversicherung (SPV) zum 1. Januar 2017 grundlegend weiterentwickelt. Standen bei der Pflegebedürftigkeitsprüfung bislang körperliche Beeinträchtigungen im Vordergrund, werden seither auch kognitive Einschränkungen berücksichtigt. Die Überleitung der Pflegebedürftigen aus den alten Pflegestufen in die neuen Pflegegrade erfolgte nach einem pauschalen Verfahren, das für die Pflegebedürftigen meist vorteilhaft war. Mögliche Verschlechterungen gleicht die Pflegeversicherung aus. Doch nicht nur der Leistungszugang wurde verbessert, sondern auch bestimmte Geld- und Sachleistungen sowie die Rentenleistungen für pflegende Angehörige. Um die zahlreichen Verbesserungen zu finanzieren, wurde mit dem PSG II der Beitragssatz um 0,2 Punkte angehoben, was Mehreinnahmen von rund 2,5 Milliarden Euro erwarten ließ. Die geschätzten Mehrausgaben lagen hingegen für 2017 bei 3,7 Milliarden Euro und für die Folgejahre bei ca. 2,5 Milliarden Euro. Für die Überleitungskosten wurden für einen Vierjahreszeitraum zudem 3,6 Milliarden Euro eingeplant und der Bestandsschutz mit 0,8 Milliarden Euro eingerechnet. Das Ziel, den Beitragssatz bis 2022 stabil zu halten, war ausgehend von diesen Schätzungen und den langjährigen Überschüssen der Pflegeversicherung durchaus realistisch.
Nun zeigt sich, dass die Ausgabenschätzungen deutlich übertroffen wurden. Im Jahr 2017 betrug das Defizit 2,5 Milliarden Euro. Damit lag es noch im Rahmen der Schätzungen zum PSG II. Zu berücksichtigen ist dabei jedoch, dass der Beitragssatz im Jahr 2016 etwa 0,8 Beitragssatzpunkte höher war als für die Deckung der Ausgaben erforderlich. Zudem überstiegen die Beitragsmehreinnahmen die ursprünglichen Schätzungen um 0,3 Milliarden Euro. Auf Grundlage des ersten Halbjahres sind nach Berechnungen des vdek für 2018 Gesamtausgaben in Höhe von 41,0 Milliarden Euro zu erwarten – etwa 2,4 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr. Die prognostizierten Ausgabenrückgänge sind vorerst also nicht in Sicht – stattdessen steigt das Defizit auf 3,2 Milliarden Euro. Als Gründe dafür führt das BMG insbesondere die Ausgaben für Sozialleistungen (Flexirentengesetz) mit zusätzlichen 0,7 Milliarden Euro an, aber auch die Wirkungen des verbesserten Leistungszugangs werden sichtbar. So ist die Zahl der ambulanten bzw. teilstationären Leistungsbezieher um 16,4 Prozent gestiegen und es werden insgesamt höhere Pflegegrade erreicht. Ferner kam es im ambulanten Bereich zu unerwarteten überproportionalen Ausgabensteigerungen. Seine eigene Ausgabenschätzung für 2018 musste das BMG deshalb um 1,1 Milliarden Euro erhöhen. Damit schmelzen die Rücklagen der Pflegeversicherung schneller ab als erwartet. Um auch mit Blick auf aktuelle Gesetzesvorhaben eine solide Finanzierungsbasis zu schaffen, ist eine Beitragssatzanpassung erforderlich. Aktuell werden Anpassungen um 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte diskutiert.