BMWI-Modellprojekt in Vietnam

Wegbereiter für die Pflegewirtschaft

Bereits 2013 hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) ein Modellprojekt „Ausbildung junger Menschen aus Vietnam in Deutschland zu Pflegefachkräften“ gestartet, um dem Fachkräftemangel in der Pflege hierzulande entgegenzuwirken. Inzwischen arbeiten die ersten Teilnehmerinnen und Teilnehmer erfolgreich in der Pflegebranche.

Die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland hängt in entscheidendem Maße davon ab, wie gut es uns gelingen wird, die Fachkräftebasis zu sichern und zu erweitern. Momentan geht es der deutschen Wirtschaft gut und auch der Arbeitsmarkt steht hervorragend da: Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr und die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung schreibt Rekordzahlen. In manchen Regionen herrscht bereits Vollbeschäftigung. Diese erfreuliche Entwicklung bedeutet aber auch, dass Unternehmen in bestimmten Regionen und Branchen bereits heute Schwierigkeiten haben, für bestimmte Tätigkeiten qualifizierte Fachkräfte zu finden. Dies gilt in besonderem Maße für die Pflegeberufe, weil sich hier die demografische Entwicklung doppelt auswirkt: Die Bevölkerung wird immer älter und gleichzeitig zahlenmäßig weniger (siehe Abb. 1).

Infografik: Deutschland im demografischen Wandel

Auch wenn die Anzahl der Pflegekräfte in der Pflegewirtschaft allein in den letzten vier Jahren um mehr als zwölf Prozent gestiegen ist, hält diese Zunahme nicht Schritt mit dem rasant steigenden Fachkräftebedarf in der Pflege. Laut Arbeitsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit waren in der Altenpflege 2017 im Jahresdurchschnitt bundesweit rund 23.000 offene Stellen gemeldet, in der Krankenpflege waren es 12.000 offene Stellen. Bis zum Jahr 2030 wird mit einer Zunahme der Pflegebedürftigen von derzeit 3,5 Millionen auf über 4,1 Millionen gerechnet. Der Personalbedarf kann schon heute weder durch einheimische Kräfte noch durch Fachkräfte aus EU-Staaten gedeckt werden (siehe Abb. 2). Die Gewinnung von (Pflege-)Fachkräften aus Drittstaaten ist nicht nur für Deutschland, sondern auch für viele Länder mit ähnlicher demografischer Entwicklung unumgänglich.

Infografik: Fachkräftemangel in der Pflege

Modellprojekt des BMWi

Mit dem Modellprojekt „Ausbildung junger Menschen aus Vietnam in Deutschland zu Pflegefachkräften“ hat das BMWi im Jahr 2013 die Initiative ergriffen, mehr Pflegepersonal aus dem Ausland zu gewinnen. Ziel des Modellvorhabens war es, Hindernisse bei der Rekrutierung von Menschen aus Drittstaaten zur Ausbildung in der Pflege in Deutschland zu ermitteln und diese zu überwinden. Den deutschen Pflegeeinrichtungen sollte ein Weg aufgezeigt werden, in Zukunft selbstständig Auszubildende aus Drittstaaten zu gewinnen.

Zur Sicherstellung einer fairen Fachkräftevermittlung wurde im Vorfeld eine gemeinsame Absichtserklärung zwischen Deutschland und Vietnam unterzeichnet, in der sich beide Seiten auf Qualitätsstandards und die Grundzüge einer fairen Fachkräftegewinnung verständigt haben. Das BMWi hat die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) mit der Durchführung des Projektes beauftragt.

Warum Vietnam?

Als Partnerland wurde Vietnam ausgewählt, da es dort im Gegensatz zu Deutschland nicht an Arbeitskräften mangelt. Jährlich drängen rund 1,5 Millionen Schulabsolventinnen und -absolventen auf den vietnamesischen Arbeitsmarkt, ohne dass es ein ausreichendes Arbeitsplatzangebot gibt. Aufgrund seiner sehr jungen Bevölkerung verfügt Vietnam somit über ein großes Arbeitskräftepotenzial und insbesondere auch über einen Überhang an Fachkräften in der Pflege.

Der Vergleich der Alten- und Krankenpflegeausbildungen in Vietnam und Deutschland ergab große Unterschiede, unter anderem ist die gesamte Grund- und Körperpflege in Vietnam nicht Teil des Pflegeberufsbildes, da diese traditionell von Familienmitgliedern übernommen wird. Vor diesem Hintergrund wurde entschieden, im Modellprojekt nicht den Weg der Anerkennung der vietnamesischen Ausbildung zu gehen, sondern junge Vietnamesinnen und Vietnamesen für eine Ausbildung in Deutschland zu gewinnen.

Die seitdem gewonnenen Erfahrungen bestätigen, dass die Ausbildung der richtige Weg für die vietnamesischen jungen Menschen war, um das deutsche Pflegesystem von Grund auf kennenzulernen und sich gut zu integrieren. In vier Durchgängen sind ca. 350 Vietnamesinnen und Vietnamesen nach Deutschland gekommen, davon haben nur zwei Teilnehmende die Ausbildung vorzeitig abgebrochen. Zwei Durchgänge haben die Ausbildung bereits erfolgreich abgeschlossen und sind inzwischen bestens in der deutschen Pflegebranche angekommen.

Das Modellprojekt ist auch deshalb so erfolgreich, weil es Rücksicht auf die Lebensumstände, Mentalität und Gewohnheiten der vietnamesischen Auszubildenden nimmt. Zudem informiert es sowohl die Auszubildenden intensiv über die deutsche Kultur als auch die Beteiligten auf deutscher Seite (Personal und Auszubildende in den Einrichtungen und Pflegeschulen sowie Patientinnen und Patienten) über erfolgreiche Integration und Willkommenskultur.

Ausbildungsinhalte

Die Auszubildenden absolvieren zunächst ein vom BMWi gefördertes Qualifizierungsprogramm in Kooperation mit dem Goethe-Institut in Hanoi. Diese Vorbereitung beinhaltet: einen 13-monatigen Sprachunterricht bis Sprachniveau B2 inklusive einer fachsprachlichen Qualifizierung, ein interkulturelles Training und ein fachliches Zusatzmodul zur Vorbereitung auf das Berufsbild der Pflegefachkraft in Deutschland. Nach bestandener Sprachprüfung haben die TeilnehmerInnen in Deutschland ihre Ausbildung zur Fachkraft in der Pflege begonnen. MentorInnen und RegionalkoordinatorInnen tragen dazu bei, dass ein guter Start gelingt. Anfangs helfen sie beispielsweise dabei, ein Bankkonto zu eröffnen, Strom und Internetzugang anzumelden oder Sportmöglichkeiten zu finden. Sie unterstützen auch, wenn nach den ersten drei Monaten manchmal das große Heimweh einsetzt.

Das Modellprojekt gilt heute als zukunftsweisend für die Pflegebranche, weil es ihr einen Weg aufzeigt, ausländisches Personal eigenständig anzuwerben. Inzwischen wird es erfolgreich in Nachfolgeprojekten umgesetzt.

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