3 Fragen an Ilka Wölfle

Die Spitzenverbände der deutschen Sozialversicherung haben sich mit Blick auf ihre gemeinsamen europapolitischen Interessen 1993 zur Deutschen Sozialversicherung Arbeitsgemeinschaft Europa e. V. zusammengeschlossen. Der Trägerverein hat seinen Sitz in Berlin, in Brüssel wurde ein Verbindungsbüro errichtet, die sogenannte Europavertretung der Deutschen Sozialversicherung. Direktorin ist Ilka Wölfle.

Ilka Wölfle
Ilka Wölfle, Direktorin Europavertretung der Deutschen Sozialversicherung

Im letzten Jahr feierte die Europavertretung ihren 25. Geburtstag. Welche Bedeutung hat die Repräsentanz der deutschen Sozialversicherung auf europäischer Ebene?

Schon in Zeiten der Gründung der Europavertretung traf Europa zahlreiche politische Entscheidungen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich mit unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen auf die Sozialversicherung. Es ist deswegen unabdingbar, dass wir sehr früh die unsere Mitgliedsverbände tragenden Prinzipien von Selbstverwaltung und solidarischer sozialer Sicherung in die europäische Politik einbringen. Mit einer permanenten Interessenvertretung – wir waren lange Jahre das einzige europäische Sozialsystem mit einer solchen Ein-richtung in Brüssel – wurde unser Einfluss sicher-gestellt. Wegen unserer gebündelten Präsenz vor Ort können wir auf sehr vielen Gebieten und bei vielen Projekten der Europäischen Union (EU) unterstützende Hilfe geben.

Die Europavertretung begleitet Gesetzgebungsverfahren und Initiativen auf europäischer Ebene. Inwiefern berühren Entscheidungen in Europa die Sozialsysteme in Deutschland?

Auch wenn die EU im Bereich der Gesundheits- und Sozialpolitik nur begrenzte Einflussmöglichkeiten hat, war schon früh absehbar, dass das Vorantreiben der wirtschaftlichen Integration der EU und ihrer Gesetzgebung einen wesentlich höheren Einfluss auf sozial- und gesundheitsrelevante Politik verschaffen würde. Ein aktuelles Beispiel sind die Bestrebungen der EU, die Bewertung von Gesundheitstechnologien zu harmonisieren. Verbindliche europäische Health Technology Assessment (HTA)-Bewertungen sollen nach dem Wunsch der EU-Kommission die Basis für nationale Entscheidungen zur Preisbildung und Erstattung werden. Es ist nicht überraschend, dass die Frage der Verbindlichkeit der europäischen HTA-Bewertungen für nationale Entscheidungen politisch kontrovers diskutiert wird. Auch wir haben uns hier für die gesetzlichen Krankenkassen eingebracht und dafür plädiert, bestehende Kooperationen bei der Bewertung von Arzneimitteln und Medizinprodukten fortzusetzen und nur schrittweise auszuweiten.

Welche Rolle spielen die sozialen Sicherungssysteme auf dem politischen Parkett Europas?

Vor allem die Wirtschaftskrise und gesamtgesellschaftliche Veränderungen, wie etwa demografische Entwicklungen und Veränderungen der Arbeitswelt, stellen die Finanzierung sozialer Sicherungssysteme der europäischen Länder vor immer größer werdende Herausforderungen. Insbesondere Frankreich arbeitet darauf hin, die unterschiedlichen sozialen Sicherungssysteme zu harmonisieren. Dies wäre allerdings oft nicht im Interesse der Versicherten, und eine politische Mehrheit wird es dafür aus guten Gründen auch in den kommenden Jahren nicht geben. Vielmehr muss auch in Zukunft die EU ihre entscheidende Rolle bei der Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme spielen und die Kooperation der Mitgliedstaaten dort fördern, wo ihr Mehrwert offenkundig ist. Ein ausbaufähiger Ansatz sind etwa die Europäischen Referenznetzwerke, die Patienten in allen EU-Mitgliedstaaten den Zugang zur Diagnose und Behandlung seltener und hochkomplexer Erkrankungen ermöglichen und erleichtern sollen.

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