Krankenhausversorgungsstrukturen

Stillstand im Reformüberschuss

Das Bundesgesundheitsministerium legt derzeit einen Gesetzentwurf nach dem anderen vor. Die stationäre Krankenhausversorgung ist hier von nicht ausgenommen und erhebliche finanzielle Mittel sollen in den Sektor fließen. Fraglich ist, ob die Reformvorhaben nachhaltig oder nur medienwirksam sind. Ebenso drängen sich die Fragen auf, ob die Qualitätsoffensive der Bundesregierung bisher Wirkung gezeigt hat, die Krankenhausstrukturen zukunftssicher und einerseits auf den demografischen Wandel – beispielsweise auf Fachkräftemangel, steigende Bedarfszahlen und Rentenlücke – sowie andererseits auf regionale Schieflagen vorbereitet sind.

Illustration: Krankenhauslandschaft, über die ein Hubschrauber fliegt

Weniger ist mehr oder, wie der Titel einer ARD-Reportage die Frage stellte: „Krankenhäuser schließen – Leben retten?“. So könnte man das Ergebnis der Bertelsmann-Studie „Zukunftsfähige Krankenhausversorgung“ zusammenfassen. Die Erfahrungen aus anderen Ländern, aber auch erste Erkenntnisse aus der Anwendung der Pflegepersonaluntergrenzen oder der planungsrelevanten Qualitätsindikatoren weisen auf die Vorteile einer konzentrierten und zentrierten Krankenhausversorgung in Bezug auf die Versorgungsqualität hin. Es gibt zu viele kleine Krankenhäuser, insbesondere in den Ballungsgebieten. So die Wissenschaft. In strukturschwachen ländlichen Regionen bedarf es hingegen einer Umwandlung bzw. Öffnung kleiner Krankenhäuser für außerstationäre Behandlungsformen.

Veränderung der Strukturen

Der bevorstehende demografische Wandel auf dem Arbeits- und Gesundheitsmarkt sowie regionale Wanderungen unterstreichen das Erfordernis nach Veränderung der Versorgungsstrukturen. Eine Reduzierung und Umwidmung von heute etwa 1.700 Krankenhäusern auf weniger als 600 Akutkliniken erfordert politischen Mut und hohe Investitionsmittel. Zumindest kurzfristig sind hier keine Änderungen zu erwarten. Wenn zukünftig ärztliches, therapeutisches und pflegerisches Personal immer knapper werden, scheidet Personal als Variable zur Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Versorgung mehr oder weniger aus. Die Variable ist dann die Krankenhaushäufigkeit bzw. die -fallzahl. Ambulant sensitive Fälle, die heute stationär versorgt werden, müssen künftig mehr denn je niederschwellig behandelt werden. Ansonsten drohen in absehbarer Zeit Versorgungsengpässe. Patienten werden hinsichtlich ihrer Lukrativität und nicht ihrer medizinischen Behandlungsbedürftigkeit versorgt.

Mit dem Notfallversorgungsgesetz wird dies ansatzweise berücksichtigt. In den neu vorgesehenen gemeinsamen Leitstellen und in den integrierten Notfallzentren sollen Triagesysteme zum Einsatz kommen, mit denen Patienten hinsichtlich ihrer ambulanten oder stationären Notfallbehandlungsbedürftigkeit unterschieden werden können. Für elektive Behandlungen fehlen objektive Instrumente zur Beurteilung der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit.

Durch die Vorgabe einer Prüfquote von zehn Prozent im Jahr 2020, wie es das MDK-Reformgesetz vorsieht, wird die Möglichkeit einer Fehlbelegungsprüfung der Krankenkassen durch den Medizinischen Dienst (MD) stark eingegrenzt. Der Gesetzgeber sieht zwar einen neu gestalteten Katalog ambulanter Behandlungen durch Krankenhäuser vor. MD-Prüfungen sollen jedoch in diesem neuen Bereich ausgeschlossen werden. Ob dies für die Krankenhäuser als Anreiz ausreicht, die im Vergleich zu den Fallpauschalen (DRG) geringeren Erlöse anzunehmen, wenn gleichzeitig die Prüfquote für die Krankenkassen greift, bleibt abzuwarten. Die Indikationsqualität in deutschen Krankenhäusern bleibt folglich ungewiss.

Infografik: Krankenhauskennzahlen 1994 - 2017

Auch eine gute Strukturqualität ist bei der derzeitigen Förderbereitschaft der Länder anzuzweifeln. Zu geringe Fördermittel werden letztendlich auf zu viele Krankenhäuser verteilt. Das Problem des Fachkräftemangels kommt bekanntermaßen noch hinzu. Es zeigt sich bereits im zweiten Jahr der Anwendung, dass die Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) aus der Richtlinie für Früh- und Reifgeborene von mehr als 87 Prozent der entsprechenden Kliniken nicht erfüllt werden können. Auch bei Personaluntergrenzen zeigt sich, dass es Defizite gibt. Leider verhindert die Durchschnittsbetrachtung, dass Kliniken sanktioniert werden. Dies bedeutet, dass es in einer einzelnen unterbesetzten Schicht für einen betroffenen Patienten dann zu einer Patientengefährdung kommen kann, die über Leben und Tod entscheidet.

Eine Ausweitung der Personaluntergrenzen trägt die Leistungserbringerseite nicht mit. Im Gegenteil, sie hält nicht viel von diesem Instrument. Sie will ein Personalbemessungsinstrument, das nicht Untergrenzen, sondern Sollbedarfe für eine angemessene Behandlung festlegt. Woher das Personal von dem – wie es die Krankenhausseite bezeichnet – „ausgefegten Arbeitsmarkt“ genommen werden soll, bleibt unklar. Sollbedarfe liegen schließlich oberhalb der Untergrenzen. Die Leistungserbringerseite fordert daher mit Nachdruck eigentlich nur eine Sollbedarfsfinanzierung und keine -besetzung des Personals. Nachweise über die tatsächliche Stellenbesetzung lehnt sie vehement ab. Anders ausgedrückt, man will das Geld für einen fiktiven Bedarf einkassieren und das Personal nicht einstellen. Hier geht es um Gewinnmargen und nicht um Patientenversorgung.

Die Ergebnisqualität der Krankenhäuser hängt letztendlich von der Erfahrung der Kliniken ab. Der eingangs beschriebene Konzentrationsprozess konnte mit dem Strukturfonds allein noch nicht eingeleitet werden. Mindestmengenregelungen gibt es nur für sieben Bereiche mit geringen Hürden. Insofern bleibt es derzeit bei erheblichen qualitativen Unterschieden zwischen den Krankenhäusern. Für den Patienten bleibt es mehr oder weniger Glücksache, in welchem Krankenhaus er aufgenommen wird.

Infografik: Beschäftigte im Krankenhaus, Ärzte und Pflegepersonal

Strukturwandel ist auch Ländersache

Vor diesem Hintergrund ist interessant, wie die Länder mit dieser Problemlage umgehen. Sie haben den Sicherstellungsauftrag für die Krankenhausversorgung inne und fallen bislang dadurch auf, dass sie nach mehr Kompetenzen rufen und sich schützend vor ihre Krankenhäuser stellen. Dabei geht es gerade um Krankenhäuser, die aufgrund fehlender Investitionsförderung nicht mehr leistungsfähig sind. Hinzu kommt in Schrumpfregionen, dass die Nachfrage stagniert oder zurückgeht, die Bedarfsnotwendigkeit nicht mehr gegeben ist und die Kliniken nicht mehr wirtschaftlich geführt werden können. Hierfür gibt es zwar den Sicherstellungszuschlag, der wirtschaftliche Probleme mit finanziellen Mitteln der Beitragszahler beheben kann. Wenn diese Krankenhäuser aber ein breites Leistungsspektrum anbieten wollen und die Fallzahlen zu gering sind, fehlt den Kliniken die Erfahrung, Patienten entsprechend zu behandeln.

Erfahrung lässt sich mit Geld nicht kaufen. In den Ballungsgebieten müssen diese Standorte konsequent aufgegeben werden. In ländlichen Regionen müssen diese Einrichtungen zu ambulant-stationären Versorgungszentren zur Grundversorgung umgewidmet werden. Dies setzt voraus, dass aufwendigere Behandlungen der Spezial- und Schwerpunktversorgung in die Großstädte verlagert werden. Dies stellt Anforderungen an die öffentliche Verkehrsinfrastruktur. Gesundheitsversorgung und Verkehrsinfrastruktur hängen in Zukunft mehr denn je miteinander zusammen. Heute findet jedoch eine mehr oder weniger isolierte Betrachtungsweise statt.

Das Problem wird gerade dann in strukturschwachen ländlichen Schrumpfregionen zur Herausforderung, wenn es nicht mehr gelingt, ärztliches, therapeutisches und pflegerisches Personal in die Versorgungseinrichtungen zu bekommen. Die Schließung von Fachabteilungen in den Krankenhäusern aufgrund von Personalmangel ist jetzt schon immer häufiger zu beobachten. Auch in den Ballungsgebieten werben sich die Gesundheitseinrichtungen untereinander das Personal ab. Von außen kommt auf absehbare Zeit nicht mehr Fachpersonal auf den Arbeitsmarkt im Gesundheitssektor hinzu. Dennoch schreiben die Länder die Krankenhausstrukturen einfach nur fort. Besitzstandswahrung ist Trumpf. Nach 2031 hat die derzeit größte Altersgruppe der Babyboomer in Deutschland das Rentenalter erreicht. Jede zweite Stelle kann nach heutigen Erkenntnissen nicht mehr adäquat nachbesetzt werden. Diese Entwicklung ist absehbar. Auch, dass die Babyboomer dann verstärkt Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen werden.

Anstatt die Krankenhausstrukturen auf diese Entwicklung vorzubereiten, versucht man mit der Wiedereinführung des Kostenerstattungsprinzips für den Pflegedienst in Kliniken das Problem zu lösen. Dies ist genauso sinnvoll, als wolle man Feuer mit Benzin löschen. Wenn Bund und Länder eine absehbare Entwicklung ignorieren und nicht bereit sind, einen Strukturwandel der Krankenhausversorgung einzuleiten, werden sich diese Versäumnisse in absehbarer Zukunft bitter rächen.

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