Association Internationale de la Mutualité (AIM)

Schrittweise zu fairen Arzneimittelpreisen

So sehr sich die Gesundheitssysteme innerhalb der Europäischen Union (EU) unterscheiden: In allen Mitgliedstaaten steigen die Preise für neue Medikamente deutlich. Das setzt den Kostenrahmen für Gesundheitsausgaben unter hohen Druck und erschwert den Zugang zu Innovationen. Unverzichtbare Arzneimittel sollten laut Association Internationale de la Mutualité (AIM) als öffentliches Gut angesehen werden, zu dem alle Zugang haben. Aus diesem Grund hat die AIM ein europäisches Preisbildungsmodell für faire und transparente Preise von innovativen Arzneimitteln entwickelt, das im Dezember 2019 im Europäischen Parlament in Brüssel vorgestellt wurde.

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In den letzten Jahren sind die Preise für Arzneimittel rasant gestiegen. Ein Beispiel ist der Preis von Arzneimitteln für Tumortherapien. Er hat sich zum Beispiel in den USA von 1995 bis 2010 um den Faktor 10 erhöht, mit einer Beschleunigung in den letzten Jahren.

Die Investitionen der Pharmaindustrie in Forschung und Entwicklung und der therapeutische Mehrwert von neuen Medikamenten sind in vielen Fällen enttäuschend. Pharmaunternehmen geben mehr Geld für Marketing aus als für Forschung und Entwicklung und konzentrieren ihre Forschungsschwerpunkte auf Arzneimittel für Krankheiten, die substanzielle Gewinne erzielen. Tatsächlich bieten nur wenige neu entwickelte Medikamente einen therapeutischen Mehrwert.

Diese Entwicklungen haben dazu geführt, dass Regierungen und Krankenkassen Strategien entwickelt haben, um die Auswirkungen von hohen Arzneimittelpreisen abzufedern. Innerhalb Europas gibt es mehrere Initiativen und Kooperationen zwischen Mitgliedstaaten, etwa die BeneluxA-Initiative, den Nordischen Rat und die Valetta- und Sofia-Erklärungen. Leider haben diese Initiativen und Kooperationen bisher nicht entscheidend dazu beitragen können, ein Gleichgewicht zwischen Mitgliedstaaten und Unternehmen bei den Verhandlungen von Arzneimittelpreisen herzustellen.

Das Preismodell der AIM

Der Vorschlag der AIM ist, Arzneimittelpreise nicht mehr anhand eines betriebswirtschaftlich hergeleiteten „Value“ zu kalkulieren, sondern auch die zugrunde liegenden Kosten, den therapeutischen Wert sowie die entsprechende Patientenpopulation in der EU, Produktionskosten, Verkaufs- und medizinische Informationen, einen Basisgewinn und einen Bonus für Innovation miteinzubeziehen:

  • Unternehmen werden aufgefordert, die Forschungs- und Entwicklungskosten (F & E-Kosten) offenzulegen. Diese würden bei 2,5 Milliarden Euro gedeckelt. Wenn keine Zahlen geliefert werden, wird ein Wert von 250 Millionen Euro F & E-Kosten angenommen. Zudem müssen klare Regeln für die öffentliche Finanzierung von Forschung festgelegt werden und wie mit Fusionen und Misserfolgen umgegangen werden soll.
  • Auch bei den Produktions- und Gemeinkosten verlangt die AIM Transparenz; ansonsten würde ein Fixbetrag von 50 Euro für Synthetika und 750 Euro für Biologika für seltene Krankheiten veranschlagt.
  • Das Modell bezieht 20 Prozent der F & E-Kosten für Marketing und medizinische Informationen mit ein.
  • Das Modell sieht einen Grundgewinn bzw. eine Rendite von acht Prozent der Gesamtkosten vor.
  • Basierend auf einer Anzahl von relevanten therapeutischen Kriterien kommt ein Innovationsbonus von bis zu 40 Prozent der Gesamtkosten hinzu.

All diese Elemente würden zu einem fairen europäischen Preis führen, der für jeden Mitgliedstaat je nach Bruttoinlandsprodukt (BIP) unterschiedlich wäre. Für Hepatitis C würde das AIM-Modell beispielsweise zu folgender Berechnung führen: Bei 800 Millionen Euro anfänglicher F & E-Kosten und 40 Prozent Innovationsbonus führt das Modell zu einem fairen europäischen Preis von durchschnittlich 845,26 Euro, wobei die Preise zwischen 196 Euro in Bulgarien und 1.733 Euro in Irland liegen würden.

Dieses Modell würde dazu beitragen, das Gleichgewicht bei den Verhandlungen zwischen Regierungen und Industrie wiederherzustellen. Verzögerungen beim Zugang könnten angegangen werden. Die Kostentransparenz würde erhöht und die Vorhersehbarkeit für die Pharmaindustrie verbessert. Es würde einen erheblichen Gewinn für die öffentliche Gesundheit darstellen.

AIM hat das Modell an alle relevanten Institutionen, Partner und Einrichtungen in Brüssel und auf internationaler Ebene gesendet und vorgestellt. AIM ist dabei, eine große Koalition von ähnlich denkenden Organisationen zu bilden. Ein erster Schritt wäre die Überprüfung der Berechnung der F & E-Kosten in der pharmazeutischen Industrie.

Die Zeichen stehen auf Fairness

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verstärkt die Aktivitäten im Bereich der fairen Preisgestaltung. Die neue EU-Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Stella Kyriakides, hat den Auftrag, für erschwingliche Medikamente bei gleichzeitiger Stärkung der Innovationskraft zu sorgen. Eine wachsende Zahl von Mitgliedstaaten ist mit den derzeitigen Preisbildungspraktiken unzufrieden. Darum ist es an der Zeit, einen Weg zu einer fairen Preisbildung zu finden, und AIM wird alles daransetzen, dieses Ziel zu erreichen.

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