Arzneimittel-Lieferengpässe

Ersatzkassen bringen Vorschläge zur Problemlösung ein

In Deutschland besteht eine hohe Versorgungssicherheit in Bezug auf die derzeit rund 103.000 verkehrsfähigen Arzneimittel. Dennoch kommt es immer wieder zu Lieferengpässen, die die Patienten verunsichern. Die Ersatzkassen nehmen dieses Thema sehr ernst und bringen sich mit Vorschlägen und Forderungen aktiv und konstruktiv in die derzeit laufende Diskussion und erste gesetzgeberische Initiativen ein.

Illustration: Menschen am Tisch, Problemlösung, Vorschläge, Ideen, Konzepte entwickeln

Zwar bedeutet ein Lieferengpass nicht zwingend, dass für den Patienten kein Arzneimittel zur Verfügung steht. Oft gibt es Alternativen zu Präparaten mit einem Lieferengpass. Dennoch besteht politischer Handlungsbedarf: Lieferengpässe bei Arzneimitteln dürfen die Versorgung der Versicherten nicht gefährden.

Die Ursachen der Lieferengpässe sind global, vielfältig und komplex. Um sie einzudämmen, bedarf es einer umfassenden Analyse der verschiedenen Gründe. Für eine zukünftige Verhinderung von Lieferengpässen oder zumindest deutliche Entschärfung der bestehenden Probleme wird es vielfältiger Lösungsansätze und Stellschrauben bedürfen, die auf einem Zeitstrahl gesehen zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihre Wirkung entfalten werden.

Im letzten Quartal des Jahres 2019 haben Bundestagsfraktionen und zahlreiche Institutionen ihre Vorstellungen zur Lösung der Lieferengpassproblematik öffentlich gemacht. Erste Gesetzesinitiativen sind ganz aktuell im Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz berücksichtigt.

Auch der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) hat gemeinsam mit den Ersatzkassen ein Forderungspapier zur Verhinderung von Lieferengpässen entwickelt und im Dezember 2019 in die öffentliche Diskussion eingebracht. Darin werden elf Maßnahmen beschrieben, wie mögliche Lieferengpässe in Zukunft vermieden bzw. zielführender gemanagt werden können. vdek und Ersatzkassen wollen mit den Vorschlägen zu einer sachlichen Diskussion und differenzierten Betrachtung des Problems beitragen. Die Umsetzung der Forderungen soll Wege aufzeigen, wie Lieferengpässe in Zukunft möglichst ausgeschlossen werden können. Für den vdek und die Ersatzkassen steht dabei die bestmögliche Versorgungssicherheit im Vordergrund.

Mehr Transparenz über das Liefer- und Marktgeschehen

Globale Lieferketten und die Konzentration auf wenige Wirkstoffhersteller, Qualitätsmängel, Produktions- und Lieferverzögerungen bei Rohstoffen sowie unternehmerische Entscheidungen wie Produktionseinstellungen oder Marktrücknahmen können Grund für Lieferengpässe sein. Wie auch zahlreiche andere Branchen, hat die pharmazeutische Industrie aufgrund ihrer Umsatz- und Profitorientierung die Produktion von Wirk- und Hilfsstoffen weltweit auf sogenannte Billiglohnländer konzentriert. Diese Verlagerung entbindet den pharmazeutischen Unternehmer allerdings nicht von seiner Verantwortung für eine den Vorgaben entsprechende Qualität der Produkte, eine ausreichende Bevorratung und eine funktionierende Lieferkette. Möglicherweise wurde die Umsetzung dieser bereits bestehenden Regeln bisher nicht immer oder nicht ausreichend kontrolliert.

Ziel muss es daher sein, mehr Transparenz über das Liefer- und Marktgeschehen zu schaffen – vom pharmazeutischen Unternehmen über den Großhandel bis in die Apotheken und Krankenhausapotheken. Risiken in der Lieferkette müssen offengelegt werden. Die Ersatzkassen begrüßen in diesem Zusammenhang auch die geplante behördliche Auflistung versorgungsrelevanter und versorgungskritischer Wirkstoffe.

Meldepflichten, Exportbeschränkungen und Vertragsstrafen

Um die Pharmahersteller mehr in die Verantwortung für ihre Lieferengpässe zu nehmen, sollten umfangreiche Meldepflichten bei drohenden oder bestehenden Lieferengpässen versorgungsrelevanter Arzneimittel eingeführt werden. Dazu zählen zum Beispiel Sanktionsmechanismen und eine sozialrechtliche Verankerung von Vertragsstrafen- und Schadensersatzregelungen bei durch den pharmazeutischen Unternehmer verursachter Lieferunfähigkeit. Für Großhändler und Apotheken mit Großhandelserlaubnis sollten im Bedarfsfall auch Restriktionen für den Export von Arzneimitteln ausgesprochen werden können.

Rabattverträge und Mehrpartnermodell

Rabattverträge tragen wesentlich zu einer qualitativ hochwertigen und wirtschaftlichen Arzneimittelversorgung bei. Entgegen Behauptungen der Pharmaindustrie, Apotheken und Großhändler führen die mit den Krankenkassen vertraglich vereinbarten Lieferverpflichtungen zu einer besseren Planbarkeit für Arzneimittelhersteller, was letztlich auch die Liefersicherheit erhöht. Deshalb möchten die Ersatzkassen die bestehenden Ausschreibungs- und Vergabemodalitäten auf Kassenebene beibehalten. Die Ersatzkassen praktizieren schon heute dort, wo es möglich ist, erfolgreich das Mehrpartnermodell bei Ausschreibungen, bei dem nicht nur einem Hersteller der Zuschlag erteilt wird, sondern mehreren Anbietern. Im Falle eines möglichen Lieferengpasses bei einem Hersteller sorgt dies dafür, dass gleichwertige Arzneimittel-Alternativen zur Verfügung stehen.

Eine vdek-Analyse der laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vorübergehend nicht lieferfähigen Arzneimittel ließ keinen Zusammenhang mit Ausschreibungen der Kassen erkennen. Ein Großteil der aufgeführten nicht lieferbaren Arzneimittel war zum Beispiel in anderen Packungsgrößen erhältlich oder das Arzneimittel konnte von einem anderen Hersteller bezogen werden.

Verträge auch für Krankenhäuser sinnvoll

Eine große Anzahl der aufgeführten Arzneimittel in der Engpass-Liste sind Arzneistoffe für onkologische oder Immuntherapien, die zumeist in Krankenhäusern verabreicht werden. Krankenhäuser, die ihre Arzneimittel im Übrigen in eigener Regie und Verantwortung direkt bei pharmazeutischen Unternehmern ordern, beklagen bereits seit einigen Jahren zunehmend Lieferengpässe. Um hier kurz- bzw. mittelfristig Abhilfe zu schaffen, wurde in einem der jüngsten Jour fixe beim BfArM empfohlen, in den Lieferverträgen zwischen Pharmaunternehmen und Krankenhäusern mehr Kalkulations- und Planungssicherheit für beide Seiten zu verankern. Dies soll unter anderem durch Abnahmegarantien für Hersteller sowie mindestens zwölf Monate geltende Lieferverträge mit sechsmonatigem Vorlauf möglich werden. Parameter, die den Rabattverträgen der Ersatzkassen bereits zugrunde liegen.

Fazit

Der erste Schritt zur Verbesserung der gegenwärtigen Situation ist mit der öffentlichen Diskussion und den gesetzgeberischen Initiativen erfolgt. Viele Schritte werden nötig sein, um die Versorgungssituation weiter zu verbessern. Dies gelingt nur, wenn alle Beteiligten offen ihre eigene Rolle im Prozess der Arzneimittelherstellung und -lieferung reflektieren und bereit sind, im Sinne einer sicheren und verlässlichen Patientenversorgung konstruktiv ihren Beitrag zu einer künftigen Verhinderung von Lieferengpässen bei Arzneimitteln zu leisten. Die Ersatzkassen haben hierzu bereits Beiträge geliefert und werden sich auch an weiteren geeigneten Maßnahmen konstruktiv beteiligen.

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