Interview mit Heike Baehrens (SPD)

„Jetzt ist die Zeit, weltweit Solidarität zu üben“

Heike Baehrens (SPD) ist Vorsitzende des Unterausschusses Globale Gesundheit. Im Interview mit ersatzkasse magazin. berichtet die Bundestagsabgeordnete, warum die Notwendigkeit einer globalen Zusammenarbeit gerade in Krisenzeiten wie der aktuellen Corona-Pandemie sichtbar wird und was die Bundesregierung dafür tut, dass Ergebnisse bestimmter Forschungsaktivitäten für die Menschen weltweit zugänglich werden.

Heike Baehrens (SPD) am Rednerpult im Deutschen Bundestag

Der Unterausschuss Globale Gesundheit ist noch jung – er wurde erst im Juni 2018 geschaffen. Was sind die Aufgaben des Ausschusses?

Heike Baehrens: Im Parlament gab es bereits in der vergangenen Legislaturperiode das Bewusstsein, dass das Themenfeld globale Gesundheit besondere Aufmerksamkeit braucht und Deutschlands Rolle in diesem wichtiger werdenden Politikbereich eine wachsende Bedeutung erfährt. Darum habe ich mich dafür eingesetzt, diesen Unterausschuss zu bilden und ihn dem Gesundheitsausschuss zuzuordnen. In diesem Gremium nutzen wir die Möglichkeit, die verschiedenen Themen und Fragestellungen politikfeldübergreifend zu bearbeiten. Globale Gesundheit ist ein Querschnittsthema mit Bezügen zu nahezu allen anderen Ausschüssen, insbesondere „Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ sowie „Bildung und Forschung“. Es ist offensichtlich, dass wir zum Beispiel ein Problem wie die voranschreitenden antimikrobiellen Resistenzen nicht lösen können, wenn wir neben gesundheitspolitischen nicht auch umwelt- oder landwirtschaftspolitische Aspekte einbeziehen. Der Unterausschuss ist ein sehr gutes Forum, um in engem Kontakt mit den Vertretern der Bundesministerien die betreffenden Expertinnen und Experten anzuhören, zusammenzubringen, Problembereiche zu identifizieren und Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Dem Unterausschuss kommt insbesondere auch im Hinblick auf die Aktualisierung der Strategie der Bundesregierung zur globalen Gesundheitspolitik eine wichtige Rolle zu. Wir begleiten diesen Prozess sehr eng und konstruktiv. Außerdem sehe ich unsere Rolle auch darin, ein kohärentes Regierungshandeln im Sinne des „Health in all Policies“-Ansatzes einzufordern.

Wo sehen Sie im Kontext der aktuellen Corona- Krise die Herausforderungen in Bezug auf eine aktualisierte globale Gesundheitsstrategie der Bundesregierung?

Der Schutz vor grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren sowie die weltweite Stärkung von Gesundheitssystemen waren bereits Schwerpunkte in der alten Strategie der Bundesregierung von 2013. Unbedingte Richtschnur für die aktualisierte Fassung muss aus meiner Sicht das Nachhaltigkeitsziel für Gesundheit der Vereinten Nationen, das SDG 3 (Sustainable Development Goal 3), sein. Nur widerstandsfähige und bedarfsorientierte Gesundheitssysteme können in Krisenzeiten die Versorgung aufrechterhalten. Insofern muss es auch nach Bewältigung der aktuellen akuten Gesundheitskrise verstärkt unser Ziel sein, weltweit flächendeckend für Gesundheitssysteme zu sorgen, die für alle Menschen zugänglich sind und eine erschwingliche Versorgung in guter Qualität bieten. Dies ist eine sehr langwierige, mühevolle Aufgabe, die keine schnellen Erfolge zeitigt. Diese Notwendigkeit ist meines Erachtens von der Bundesregierung erkannt und wird sicherlich Niederschlag in der aktualisierten Strategie der Bundesregierung zur globalen Gesundheitspolitik finden.

Die aktuelle Corona-Pandemie zeigt, dass es kein funktionierendes Frühwarnsystem gibt und wenig Transparenz und Kooperation zwischen den Nationen. Wie kann man sich da international besser aufstellen?

Dass es kein funktionierendes Frühwarnsystem gebe, sehe ich so nicht. Spätestens seit dem verstärkten Auftreten des Virus in Wuhan Ende letzten Jahres waren die Expertinnen und Experten alarmiert, und es wurde gehandelt. Seitdem haben die Nachbarländer Chinas und andere Länder in aller Welt ihre Surveillance-Maßnahmen erhöht, um schnell etwaige neue Fälle des Virus in Verbindung mit dem Ausbruch diagnostizieren zu können. Leider ist es aber so, dass im Krisenfall jedes Land zunächst auf seine eigenen Interessen schaut und Staaten nicht in dem Maße zusammenarbeiten, wie dies die Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) vorschreiben. Sicherlich wird die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nach dieser akuten Phase evaluieren, an welchen Stellen die IGV angepasst werden müssen. Dies gilt übrigens auch für unser nationales Infektionsschutzgesetz, das wir gerade sehr kurzfristig nachgeschärft haben und das nach der Krise mit Sicherheit noch einmal in Ruhe überarbeitet werden muss.

Inwiefern können sich Staaten bei der Entwicklung von Impfstoffen unterstützen oder auch die Wissenschaftler hinsichtlich der Erforschung des Virus? Zurzeit sieht es so aus, als bestünde die Welt vor allem aus „Einzelkämpfern“?

Wünschenswert wäre es, das jetzt gewonnene Erfahrungswissen und Forschungs-Knowhow im Sinne von Open Science weltweit auszutauschen, um schneller zu Impfstoffen und Therapeutika zu kommen. Leider ist unser Forschungssystem eher kompetitiv ausgerichtet, sodass Forschungsdaten, Laborberichte oder andere Forschungsprozesse nicht frei zugänglich sind. Ich begrüße es daher sehr, dass die Bundesregierung sich für zukunftsweisende Modelle, wie beispielsweise die Impfstoff-Initiative CEPI (Coalition for Epidemic Preparedness Innovations) einsetzt. Es muss klar sein, dass die Ergebnisse dieser Forschungsaktivitäten, die das Bundesforschungsministerium (BMBF) noch einmal mit 140 Millionen Euro zusätzlich fördert, für alle Menschen weltweit zugänglich sein müssen.

Angesichts der Corona-Pandemie hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ein europäisches Robert Koch-Institut gefordert. Begrüßen Sie das?

Ich begrüße die Forderung, dem Europäischen Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) in Stockholm einen größeren Etat und mehr Handlungsmöglichkeiten zu geben. Wir haben insgesamt die Möglichkeit, in der anstehenden EU-Ratspräsidentschaft das Thema globale Gesundheit stärker auf europäischer Ebene zu verankern. Hier passiert bereits eine Menge auf unterschiedlichen Ebenen. Durch ein abgestimmteres Vorgehen würde man die Sichtbarkeit und Durchschlagskraft aber deutlich erhöhen können.

Die Pandemie bringt globale Lieferketten teilweise zum Erliegen und verstärkt auch das Problem der Lieferengpässe von Arzneimitteln. Wie kann hier gegengesteuert werden?

Die aktuelle Situation führt uns einmal mehr vor Augen, wie abhängig wir von China und Indien sind. In den vergangenen Jahren haben wir verschiedene Maßnahmen auf den Weg gebracht, um das Problem anzugehen, zuletzt mit dem Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz (GKV-FKG). Hiermit werden wir die Situation punktuell verbessern. Die Diskussion über Lieferengpässe und Versorgungssicherheit im Arzneimittelbereich und damit über die Gestaltung globaler Lieferketten hat allerdings gerade erst begonnen. Ich gehe davon aus, dass wir künftig auch verstärkt über Rückverlagerung von Produktion in einigen Bereichen nachdenken müssen.

Was sind jetzt die wichtigsten Maßnahmen, um die Corona-Epidemie weltweit wieder einzudämmen?

Wir müssen uns in unserem persönlichen Verhalten an die Empfehlungen der Experten halten und gleichzeitig weltweit Solidarität üben. Dies bedeutet zum Beispiel Tests, Schutzausrüstung, Behandlungskapazitäten oder Arbeitskraft dort zur Verfügung zu stellen, wo sie am dringendsten benötigt werden.

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