Corona

Stunde der digitalen Gesundheit

Die Corona-Pandemie ist die größte Herausforderung für das öffentliche Gesundheitswesen. Gefragt waren und sind innovative und unkonventionelle Lösungen. Dazu zählen insbesondere digitale Gesundheitsanwendungen. Mit der anstehenden ersten Zulassung einer „App auf Rezept“ im Sommer dieses Jahres und der Einführung der elektronischen Patientenakte im kommenden Jahr verfügt Deutschland über gute Voraussetzungen, um zum digitalen Vorreiter zu werden.

Illustration: Rakete startet in die digitale Gesundheit

Wichtige regulatorische und technische Grundlagen waren bereits vor Corona gelegt: der Wegfall des Fernbehandlungsverbots oder die Entwicklung von Telemedizin-Plattformen. Innovationen wie Video-Sprechstunden, Bots und Apps ermöglichen Datenaustausch und Kommunikation ohne menschliches Zusammentreffen. Ihr Einsatz senkt das Infektionsrisiko ganz allgemein und schützt vor allem das medizinische Personal. Wir erleben die Stunde der digitalen Gesundheit, in der der Nutzen digitaler Anwendungen für Patienten und Ärzte erstmals sichtbar wird. Dieses neue Erleben und die damit verbundene Offenheit für Digital Health ist bei Ärzten und Patienten quasi über Nacht entstanden. Große und kleine Unternehmen und Start-ups stellen ihre Plattformen, Tools und Apps vielfach noch immer kostenlos zur Verfügung, damit wir alle die Krise besser bestehen und vor allem auch die Risikopatienten zu Hause bleiben können.

Zwei Beispiele von vielen: Das Berliner Start-up Kinderheldin gibt wegen Corona verunsicherten Eltern und Schwangeren Orientierung und informiert über Schutzmaßnahmen; über die App Keleya können digitale Geburtsvorbereitungskurse wahrgenommen werden. Patienten sollten auch weiterhin nur in medizinisch dringenden Fällen Arztpraxen und Krankenhäuser aufsuchen. Daher hatten Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und GKV-Spitzenverband die Begrenzungsregelungen bei den Videosprechstunden aufgehoben – eine Maßnahme, die fortgeführt werden sollte.

Die Konsultation per Video als Ergänzung zum persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt ist wertvoll – nicht nur, aber vor allem während einer Pandemie. Digitale Physiotherapieanwendungen wie Kaia oder virtuelle Terminplattformen wie Physioflix verzeichneten eine Rekordnachfrage. Plötzlich ging und geht vieles, was vor Wochen noch undenkbar war! Die neue – digitale – Normalität wird die Zukunft prägen, weil sie die Gesundheitsversorgung sicherer, besser und bequemer macht.

Mehr in IT investieren

Das gilt auch für die Krankenhäuser. Das „Register der Intensivbettenkapazitäten“ (DIVI Intensivregister) und die Teleintensivmedizin „Tele-ICU“ können in Zukunft zu kommunizierenden Röhren werden. Mit dem DIVI Intensivregister wurde in der Krise früh etwas geschaffen, was sich die Rettungs- und Intensivmediziner seit langer Zeit gewünscht haben: ein bundesweites, belastbares und aktuelles Dashboard zu der Kapazität von Intensiv- beziehungsweise Beatmungsbetten anhand einiger weniger standardisierter Parameter. Die deutschen Krankenhäuser müssen in den kommenden Jahren stärker in ihre IT-Systeme investieren.

Zudem stellt sich die Frage, ob es noch zeitgemäß ist, von einem 200-Betten-Haus zu verlangen, alle Patientendaten auf dem Campus zu halten, keinerlei Cloud-Produkte zu verwenden und sich dabei maximal der digitalen Transformation zu öffnen – mit 2,5 Vollkräften in der „EDV“. Wir brauchen eine möglichst zentral regulierte, sicherere und effizient bewirtschaftete Krankenhaus-Cloud, die es ermöglicht, sämtliche Daten des Krankenhausinformationssystems (KIS) zu speichern und, sofern vom Patienten gewünscht, anderen Leistungserbringern im Bedarfsfall interoperabel verfügbar zu machen. Ich würde mir wünschen, dass daraus ein weiterer, neuer Auftrag für die Gematik erwächst.

Daten- und Gesundheitsschutz

Innerhalb weniger Monate wurde in engem Austausch mit Datenschützern eine Tracing-App, die „Corona-Warn-App“, entwickelt. Daten- und Gesundheitsschutz schließen sich nicht aus, sondern bedingen sich! Das sehen auch die Bürger so: Sieben von zehn würden für den Kampf gegen das Virus ihre Gesundheitsdaten wie Körpertemperatur, Bewegungsprofil oder soziale Kontaktpunkte öffentlichen Institutionen (wie zum Beispiel dem Robert Koch-Institut) zur Verfügung stellen, ergab eine Befragung zu Beginn der Pandemie.

Zum Schlüssel der Datenhaltung des Patienten wird die elektronische Patientenakte (ePA) zum 1. Januar 2021. Sämtliche Gesundheitsinformationen werden standardisiert, datensicher und zugreifbar für alle Healthcare-Professionals zusammengefasst, sofern der Patient dies wünscht. In einem ersten Schritt werden lediglich die relevantesten Patientendaten in die ePA überführt und zur Verfügung stehen. Mit derart zentralisierten, Cloud-basierten Ansätzen wird es möglich, Digitalisierung mit hoher Qualität und maximalem Schutz, datenschutzkonform und zu vertretbaren Kosten in die Breite der Versorgung zu bringen.

Chance auf Vorreiterrolle nutzen

Deutschland profitiert von einer breit aufgestellten Digital-Health-Technologieszene, die sich trotz aller Widrigkeiten in den vergangenen fünf Jahren in Deutschland hat entwickeln können. Unvergessen bleibt der digitale Ideenwettbewerb #WirvsVirus-Hackathon – dem größten, der jemals weltweit stattgefunden hat (und dass im lange technik-skeptischen Deutschland). Ein exzellentes Beispiel für das ehrenamtliche Engagement von Experten auch aus den Bereichen Digitalisierung und Gesundheit. Entstanden sind unter anderem vielversprechende Ansätze zur Digitalisierung der öffentlichen Gesundheitsämter. Kaum ein anderes Land weltweit kann auf so viele Technologien verweisen, die als Medizinprodukte zertifiziert sind.

Ob elektronische Patientenakte, Ausbau der Telematikinfrastruktur für den sicheren Austausch von Gesundheitsdaten zwischen Ärzten, Krankenhäusern und Apotheken oder die Verschreibungsmöglichkeit digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) – kein anderes Land hat in den vergangenen zwei Jahren derart viele Projekte auf den Weg gebracht. Der „Fast Track“, die Möglichkeit digitale Gesundheitsanwendungen durch Ärzte per Rezept zu verschreiben, wird in der Breite bereits diesen Sommer in ganz Deutschland kommen.

Diese explosive Entwicklung ist nicht nur, aber auch der regulatorischen Vorarbeit des Bundesgesundheitsministeriums in den vergangenen zwei Jahren zu verdanken. All dies hat uns in der aktuellen Situation in eine Position versetzt, um die uns inzwischen viele Länder weltweit beneiden. Dabei dürfen wir allerdings nicht verharren, denn jetzt geht es vor allem darum, diese Projekte so umzusetzen, dass ihr Nutzen für Patienten und Ärzte noch deutlicher erfahrbar wird.

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