Zeitarbeit

Chance oder Risiko?

Die Zeitarbeitsbranche hat sich in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt. Mit verschiedenen Maßnahmen sorgte der Gesetzgeber dafür, die Gleichstellung von Zeitarbeitnehmern gegenüber Nichtzeitarbeitnehmern zu verbessern. Bereits vor elf Jahren hat die Techniker Krankenkasse (TK) sich in ihrem Gesundheitsreport mit der Gesundheit von Zeitarbeitnehmern beschäftigt. Damals zeigte sich, dass Zeitarbeitnehmer gesundheitlich wesentlich mehr belastet waren als regulär Beschäftigte. Jetzt sollte geprüft werden: „Ist das noch immer so?" Und dann kam Corona.

Illustration: Zeitarbeit Homeoffice

In dem Gesundheitsreport wertet die TK jährlich die Fehlzeiten und Arzneimittelverordnungen ihrer versicherungspflichtig Beschäftigten und der Arbeitslosengeld I-Empfänger aus. Zusätzlich schaut sie sich jedes Jahr eine (Beschäftigten-)Gruppe genauer an. 2019 waren das beispielsweise die Pflegekräfte. Als sie vor über einem Jahr das Schwerpunktthema für den Gesundheitsreport 2020 festlegte, konnte niemand ahnen, dass bereits ein Jahr später die Welt durch Corona eine andere sein würde. Gerade die Gruppe, die sie für dieses Jahr genauer unter die Lupe nehmen wollte, hat durch die Corona-Pandemie eine ungewollte Aktualität erhalten: die Zeitarbeiter. Durch Corona und die damit verbundenen Kontaktbeschränkungen befinden wir uns in Deutschland in der schwersten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Durch den wirtschaftlichen Einbruch sind viele Unternehmen gezwungen, ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit zu schicken oder gar ganz zu entlassen. Zeitarbeiter sind diejenigen, die dann meistens als erstes gehen müssen.

Dabei hatte sich die Zeitarbeitsbranche in den letzten Jahren sehr gut entwickelt und ist zu einem festen Bestandteil des Arbeitsmarkts geworden. Laut Bundesagentur für Arbeit waren im Jahresdurchschnitt von Juli 2018 bis Juni 2019 rund 881.000 Zeitarbeiter sozialversicherungspflichtig in Deutschland beschäftigt. Darüber hinaus wurden in den letzten Jahren viele gesetzliche Änderungen vorgenommen, um die Gleichstellung von Zeitarbeitern mit Nichtzeitarbeitnehmern zu verbessern – beispielsweise wurde das Anrecht auf gleiches Lohnniveau nach neun Monaten wie für regulär Beschäftigte im Einsatzbetrieb eingeführt, das sogenannte „Equal Pay".

Vor diesem Hintergrund wollte die TK wissen: Haben die verbesserten Rahmenbedingungen Einfluss auf die Gesundheit von Zeitarbeitern? Wie gesund oder krank sind sie im Vergleich zu regulär Beschäftigten? Und vor allem: Was sind die Gründe für gesundheitliche Belastungen?

Der Report ist in zwei Teile gegliedert. Zunächst wurden die Routinedaten zu den Fehlzeiten und Arzneimittelverordnungen der rund 72.000 bei der TK versicherten Zeitarbeitnehmer ausgewertet. Für den zweiten Teil wurde der Report um eine wissenschaftliche Befragung erweitert. Dazu befragte das Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) im Auftrag der TK mehr als 1.400 bei der TK versicherte Zeitarbeitnehmer zu ihrer Arbeitssituation. Konkret ging es um die Bereiche Arbeitsinhalt, Arbeitsorganisation, soziale Beziehungen sowie Arbeitsumgebung. Die Antworten wurden mit einer entsprechenden Gruppe von Nichtzeitarbeitnehmern aus 2019 und – als Längsschnitt – mit Antworten aus einer Befragung von TK-versicherten Zeitarbeitern aus 2008 verglichen.

Illustration: Zeitarbeit Einkauf

Zeitarbeiter sind mehr belastet

Die Ergebnisse sind deutlich: Den Zeitarbeitern geht es heute zwar generell besser als noch vor ein paar Jahren. Aber im Vergleich zu Nichtzeitarbeitnehmern sind sie gesundheitlich immer noch auffällig mehr belastet – vor allem aufgrund ihrer körperlichen Tätigkeiten.

So waren Zeitarbeitnehmer 2019 im Schnitt 20,6 Tage krankgeschrieben. Das sind mit knapp sechs Tagen rund 40 Prozent mehr als in der Vergleichsgruppe der Nichtzeitarbeitnehmer (14,7 Tage). Grund für die hohe Anzahl von Fehltagen sind vor allem die körperlich belastenden Jobs in Lager, Logistik und Transport, in denen Zeitarbeiter überdurchschnittlich häufig beschäftigt sind. Rund 40 Prozent der Zeitarbeitnehmer in Deutschland arbeiten in diesen oder anderen Produktionsberufen. Doch selbst wenn man die berufsspezifischen Faktoren rausrechnet, haben Zeitarbeitnehmer immer noch rund 16 Prozent höhere Fehlzeiten als Nichtzeitarbeitnehmer.

Die physische Belastung zeigt sich vor allem in der hohen Zahl von Fehltagen aufgrund von Muskel-Skelett-Erkrankungen. Wegen Rückenschmerzen & Co. fehlten Zeitarbeiter 2019 insgesamt durchschnittlich 4,38 Tage – und somit rund 70 Prozent mehr als anderweitig Beschäftigte (2,57 Tage). Die Zahl der Fehltage aufgrund von Arbeits- und Wegeunfällen (1,30) sind sogar fast doppelt so hoch wie die von Nichtzeitarbeitnehmern (0,67). Rechnet man auch hier die berufsspezifischen Faktoren raus, liegt die Zahl der Fehltage immer noch um 31 Prozent höher.

Neben den körperlichen Beschwerden sind Zeitarbeiter aber auch psychisch überdurchschnittlich belastet. Laut Gesundheitsreport waren Zeitarbeitnehmer aufgrund psychischer Diagnosen mit 3,52 Fehltagen fast einen Tag mehr krankgeschrieben als der Durchschnitt der übrigen Beschäftigten (2,57). Auch das Verordnungsvolumen von Antidepressiva ist überdurchschnittlich hoch: Sie erhielten letztes Jahr mit 21,3 Tagesdosen rund 23 Prozent mehr Psychopharmaka pro Kopf als anderweitig Beschäftigte (17,3 Tagesdosen).

Die Befragung liefert konkrete Gründe: Zu den körperlichen Hauptbelastungsfaktoren zählen neben einer schlechten Arbeitshaltung vor allem lange Anfahrtswege, Lärm, Schichtarbeit und zu lange Bildschirmarbeitszeiten. Psychische Belastungsfaktoren sind zum Beispiel zu wenig Einfluss auf Entscheidungen in Bezug auf die eigene Arbeitsplatzsituation, zu wenig Austausch mit den Vorgesetzten sowie mangelnde Entwicklungsmöglichkeiten.

Die Erkenntnisse helfen herauszufinden, wo die konkreten Bedarfe in den Unternehmen sind, um dort mit gezielten Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) bzw. einem professionellen Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen. In den körperlich anspruchsvollen Jobs in der Produktion bietet sich zum Beispiel die sogenannte aufsuchende Betriebliche Gesundheitsförderung an. Dabei werden die Beschäftigten direkt an ihrem Arbeitsplatz in Ergonomie geschult bzw. es werden ihnen korrekte Hebe- und Haltungstechniken vermittelt. Fast noch wichtiger sind Maßnahmen zur Integration von Zeitarbeitnehmern in den Beschäftigungsbetrieben. Dazu gehören zum Beispiel eine aktive Feedbackkultur seitens der Vorgesetzten, Einbeziehung in Personalentwicklungsstrategien sowie Förderung von internen Weiterbildungsmaßnahmen. All das dient nicht nur der Qualifikation der Betroffenen, sondern sorgt gleichzeitig für Wertschätzung und dient somit langfristig der körperlichen und psychischen Gesundheit.

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