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Europäische Spielregeln für Gesundheitsdaten

Wie muss ein Verhaltenskodex für Gesundheitsdaten aussehen, in dem sich die europäischen Wertvorstellungen – in Abgrenzung zu den USA einerseits und China andererseits – ausdrücken? Diese Frage verbunden mit einem europäischen Datenraum war zentrales Thema der TK-Digitalkonferenz „Digitale Grundrechte in der EU“ im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.

Illustration: Europa-Konferenz

Die Rasanz, mit der sich die Digitalisierung entwickelt, führt vor Augen, wie wichtig es ist, sich mit den Fragen des Umgangs mit Gesundheitsdaten zu beschäftigen. Es werden immer mehr Daten generiert, die immer leichter verfügbar und verknüpfbar sind. Und diese Entwicklung steht erst an ihrem Anfang. Umso relevanter, dass es sich die Bundesregierung für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft auf die Fahnen geschrieben hatte, einen „Code of Conduct“ voranzutreiben: einen Verhaltenskodex, der auf Basis der europäischen Wertvorstellungen unseren Umgang mit Gesundheitsdaten beschreibt. Die internationale und interdisziplinäre Konferenz der Techniker Krankenkasse (TK) war Teil des assoziierten Programms im Rahmen der Ratspräsidentschaft.

Dass Corona der Digitalisierung im Gesundheitswesen einen spürbaren Schub gegeben hat, hob Thomas Ballast, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der TK, hervor: „Widerstände sind weniger geworden, zugleich hat der Stellenwert von Wissen, das über Daten generiert wird, nochmals zugenommen.“ Heute seien Daten maximal auf nationaler Ebene verfügbar, aber auch hier gebe es noch nicht allzu viele zentrale Datenbestände. „Digitalisierung lebt aber auch von Skalierung“, daher sei ein europäischer Datenraum so wichtig – und zugleich ein Code of Conduct, um die Nutzung von Daten in einer für alle akzeptierten Weise zu ermöglichen.

Für das Bundesgesundheitsministerium unterstrich Dr. Gottfried Ludewig, Abteilungsleiter Digitalisierung und Innovation, den Nutzen von Digitalisierung, nämlich Krankheiten schneller zu erkennen und Behandlungen besser und präziser zu machen. Forschung und das Erkennen von Zusammenhängen setze die Verfügbarkeit von Daten voraus: „Die schnelle Entwicklung von Behandlungsmethoden ist nicht denkbar, ohne dass Daten digital zusammengeführt werden.“ Daher sei es so wichtig, verlässliche europäische Strukturen zu schaffen, um Europa voranzubringen. Neben den großen Vorhaben brauche es aber auch ein „Europa der Pioniere“, der kleinen Projekte, die konkret in schnellen Ergebnissen den Mehrwert von Digitalisierung zeigen könnten. „Digitalisierung ist keine Spielerei.“ Sie stelle vielmehr die Grundlage der kompletten zukünftigen Entwicklung des Gesundheitswesens dar.

Digitalisierung muss den Menschen nutzen

Digitalisierung nicht als Selbstzweck, sondern weil sie dem Patienten nutzt, so skizzierte Dr. Jens Baas, TK-Vorstandsvorsitzender, das digitale Leitbild der TK. Zum einen bedeute die Digitalisierung den nächsten großen Schub in der Medizin. Außerdem biete sie eine Möglichkeit der „Daten-Selbstbestimmung“, die der Patient bisher gar nicht habe. Digitalisierung sei eine echte „Datenschutz-Chance“. Mit Blick auf gänzlich andere Wertvorstellungen als die europäische betonte er: „Wir müssen Angebote machen, die den Datenschutz in den Vordergrund stellen und die Menschen davon abhalten, Angebote aus den USA oder China zu nutzen.“ Die Herausforderungen könne man nur im europäischen Verbund lösen.

Um die europäische Perspektive zu beleuchten, war Claire Bury, die stellvertretende Generaldirektorin Gesundheit und Lebensmittelsicherheit der EU-Kommission, zugeschaltet. Sie unterstrich die Bedeutung eines europäischen Datenraums, zum Beispiel weil die Bürger heute keinen leichten, elektronischen Zugriff auf und Kontrolle über ihre Gesundheitsdaten hätten und sie auch den Ärzten ihrer Wahl übermitteln könnten – unter anderem mit der Folge unnötiger Doppeluntersuchungen. Es brauche ein klares europäisches Konzept für die Frage, wie Gesundheitsdaten genutzt werden dürfen. Ein Kodex müsse dies eindeutig regeln, und die EU werde seine Entwicklung finanziell unterstützen. Ab 2021 solle es „öffentliche Konsultationen“ hierzu geben. Bury hob hervor: „Technologie ist nicht für sich selbst da, sondern muss sich daran messen lassen, was sie den Menschen bringt.“

Ethische Fragen und finnische Erfahrungen

Die ethischen und rechtlichen Aspekte beleuchtete Prof. Dr. Christiane Wendehorst, die Co-Sprecherin der Datenethikkommission. Sie hob hervor, dass ein hohes Schutzniveau für den Einzelnen keine Abstriche an einem innovationsfreundlichen Klima bedeute. Wichtig seien die strikte Einhaltung geltenden Rechts, die konsequente Ausrichtung an europäischen Werten und das Bemühen um robuste technische Rahmenbedingungen. Der Einzelne brauche Rechtssicherheit, um sich sorglos in der digitalen Welt zu bewegen. Sie plädierte für eine Kombination aus „Whitelisting“ für gemeinwohlfördernde Datennutzung (zum Beispiel im Bereich Künstliche Intelligenz) und einem „Blacklisting“ von Nutzungen, die dem Einzelnen schaden (Unfair Algorithmic Practices Approach).

Finnland gehört zu den Vorreitern der Digitalisierung, daher war Dr. Sari Palojoki aus der Abteilung für Digitalisierung und Informatik aus dem Gesundheitsministerium in Helsinki zugeschaltet. Die Gesundheitsinformationssysteme seien stufenweise entwickelt worden: von der lokalen über die regionale zur nationalen Ebene. Rückblickend, so Palojoki, hätte man zu Beginn manches anders machen müssen, zum Beispiel auf eine größere Patientenorientierung achten. Aber das System funktioniere und ermögliche auch weitergehende Perspektiven. Parallel habe Finnland über Jahrzehnte seine Gesetzgebung weiterentwickelt, „weil die Welt um uns herum sich schnell verändert.“ Verordnungen liegen nur noch elektronisch vor, und der Patient kann – nach elektronischer Identifikation – seine Daten sehen und hat auch Einblick, wer Zugang zu ihnen hat und was mit ihnen geschieht. Alles entscheidend sei letztlich eine funktionierende Datenschutzgesetzgebung als Grundlage für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger.

Die Digitalkonferenz zeigte, wie dringlich es ist, einen europäischen Datenraum zu schaffen und mit einem Verhaltenskodex zu flankieren, der eindeutig ist und einheitlich gehandhabt wird. Nur so lässt sich die Nutzung von Gesundheitsdaten – unerlässlich für den medizinischen Fortschritt und eine bessere Patientenversorgung – auf der Basis europäischer Wertvorstellungen verankern. Die rasante Entwicklung der Digitalisierung wird hoffentlich auch die Mühlen der EU zur Eile mahnen.

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