Baden-Württemberg nach der Wahl

Keine Experimente

Die Grünen werden zum dritten Mal in Baden-Württemberg eine neue Landesregierung anführen. Keine Experimente und eine geerdete am Menschen orientierte Gesundheitspolitik sind ihre Leitlinien. Die flächendeckende Versorgung zu sichern ist ihr Top-Anliegen – und das wollen sie erneut mit der CDU durchsetzen. Corona hat trotzdem neue Impulse gebracht.

Baden-Württemberg Flagge

Die Corona-Krise hat auch auf den Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg eingewirkt, tagesaktuell hatte die Opposition sich kritisch mit Impf- und Teststrategien auseinandergesetzt. Doch in den großen Linien der Gesundheitspolitik herrscht bei den für eine Regierung infrage kommenden Parteien Konsens – vor und nach der Wahl. Nur die AfD und die Linke, die es nicht in den Landtag geschafft hat, hatten im Wahlkampf eine Bestandsgarantie für die Krankenhäuser auf dem Land verlangt. Gesundheitspolitiker in Stuttgart betonen stets, dass Baden-Württemberg beim Abbau von Klinikbetten seine „Hausaufgaben“ gemacht habe, die Zahl der Krankenhausbetten 15 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt liege und das Land nur 250 Krankenhäuser habe, das vergleichbare Bayern aber 345 – und trotzdem geht die Strukturdebatte munter weiter: Allein im badischen Landesteil betrifft sie derzeit drei Klinikstandorte.

Lehren aus Corona

Die Corona-Pandemie hat den Glauben an das kleine Provinzkrankenhaus nicht bestärkt, im Gegenteil. Die Bilder und Berichte von Intensivstationen mit beatmeten Covid-19-Patienten könnten auch im Wahlvolk das Einsehen genährt haben, dass eine weitere Spezialisierung und Konzentration vielleicht nicht verkehrt seien. Neue Krankenhausbauten sollen „höchste medizinische, ökologische und Inklusionsstandards erfüllen“, sagen die Grünen. Von der CDU – die die Kliniklandschaft dem „tatsächlichen“ Versorgungsbedarf der Bevölkerung anpassen will – wird das so unterschrieben.

Gleichzeitig hat der Kampf gegen Corona einen neuen Aspekt aufgezeigt, namentlich die weltweit beachteten Forschungserfolge des Impfstoffherstellers CureVac in Tübingen, aber auch die von BioNTech im benachbarten Mainz: Baden-Württemberg will bestimmte Regionen zu Spitzenstandorten der Medizinforschung ausbauen, die international ausstrahlen, innovative Unternehmen anlocken und Jobs schaffen, beispielsweise durch eine Fusion der Uniklinik Heidelberg und der städtischen Klinik Mannheim. „Das Gesundheitswesen in Baden-Württemberg ist eines der besten der Welt“, sagt Ministerpräsident Winfried Kretschmann selbstbewusst – und gute Medizinforschung werde dem Patienten dienen.

Gute Versorgung ist allen wichtig

Das Land will an die Spitze, es darf die Breite aber nicht vernachlässigen. Für alle Parteien ist die gute, flächendeckende Versorgung eines der wichtigsten Anliegen, die Verzahnung von ambulantem und stationärem Sektor gehört dazu. Die Gleichheit der Lebensbedingungen in Stadt und Dorf soll angestrebt werden, gegen den auf dem Land gravierenden Ärztemangel wollen alle etwas tun. Die Grünen verlangen Primärversorgungszentren, die Gesundheit aus einer Hand bieten, die CDU spricht sich für „kooperative Praxismodelle“ aus, aber auch die anderen Parteien ziehen in die gleiche Richtung, sind für kommunale Versorgungszentren, lokale Gesundheitshäuser oder genossenschaftliche Praxismodelle in der Provinz.

Der dezentralen Versorgung könnte dienen, dass man nicht mit jedem „Wehwehchen“ zum Arzt rennen müsse, sagt die grüne Gesundheitspolitikerin Petra Krebs. Andere Gesundheitsberufe müssten gestärkt werden, und man müsse die Versorgung „von der Gesundheit“ her denken. So sind die Grünen für eine Akademisierung der Hebammenausbildung und mehr Kompetenzen für Rettungssanitäter – Widerspruch gibt es dafür nicht von den anderen Parteien, auch nicht bei der CDU. Ein wichtiger Baustein der ländlichen Versorgung könnte die Telemedizin werden, 24 Modellprojekte liefen dazu bereits in der bisherigen grün-schwarzen Koalition. Daran wird eine Neuauflage des Regierungsbündnisses anknüpfen.

Ein großes Kapitel aber ist und bleibt die Stärkung der Pflege, auch hier gibt es ein Bündel von Vorschlägen. Die Grünen wollen Pflegekammern und analog zu kommunalen Gesundheitskonferenzen auch kommunale Pflegekonferenzen stärken, deren Empfehlungen die Krankenkassen berücksichtigen sollen. Die Christdemokraten wollen ein Leitbild „Gesunde Berufe“ aufstellen, sie wollen den freiberuflichen Hebammen einen jährlichen Bonus von 500 Euro zahlen und pflegende Angehörige finanziell entlasten mit einem von der Pflegeversicherung unabhängigen Landespflegegeld von 1.000 Euro im Jahr.

Kehrtwende nicht zu erwarten

Scharfe Trennlinien in der Gesundheitspolitik bestehen aber auch: Der Drang der Grünen in Stuttgart zu einer Bürgerversicherung – eigentlich eine Sache für die Bundesebene – stößt sowohl bei der CDU als auch der FDP auf Missfallen. Die Südwest-Grünen wollen das Hamburger Modell für Landesbeamte einführen: Wenn sich diese für die gesetzliche Krankenversicherung entscheiden, soll ihnen kein finanzieller Nachteil entstehen und das Land würde den entsprechenden Arbeitgeberanteil in Form einer pauschalen Beihilfe übernehmen – im Prinzip also ein Einstieg in die Bürgerversicherung.

Experimente oder eine radikale Kehrtwende in der Gesundheitspolitik werden aber nicht zu erwarten sein, wenn der baden-württembergische Landtag am 12. Mai 2021 einen Ministerpräsidenten wählt.

Grafik: Wahlergebnis Baden-Württemberg 2021

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