Gemeinsamer Bundesausschuss

Drei Fragen an Prof. Josef Hecken

In Deutschland leben etwa vier Millionen Menschen mit einer seltenen Erkrankung. Nach einer europaweit gültigen Definition liegt eine seltene Erkrankung vor, wenn maximal fünf von 10.000 Menschen davon betroffen sind. Derzeit zählen rund 8.000 Krankheiten zu den seltenen Erkrankungen. Warum der Ausbau der Versorgungsstrukturen für Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen wichtig ist, erläutert Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA).

Welche konkreten Ansätze verfolgt der G-BA, um die Situation für Betroffene in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu verbessern?

Der G-BA ist hier als Gestalter für die Angebote der GKV ganz maßgeblich gefordert. Stichwort Früherkennung: Bestandteil der vom G-BA verantworteten Kinder-Untersuchungen ist das Erweiterte Neugeborenen-Screening, mit dessen Hilfe bereits 15 seltene Krankheiten frühestmöglich entdeckt und dadurch auch zielgerichtet behandelt werden können. Stichwort Behandlung: Gerade bei seltenen Erkrankungen ist oftmals ein vernetztes fachärztliches und interdisziplinäres Expertenwissen notwendig. Für eine solche ambulante spezialfachärztliche Versorgung, kurz ASV, schafft der G-BA die Voraussetzungen. Und damit Spezialwissen zu seltenen Erkrankungen auch in die breite Versorgung gelangt, haben wir für die Zentren für Seltene Erkrankungen die Finanzierungsgrundlage dieser Sonderleistungen definiert. Das sind einige wichtige Beispiele, neben der Bewertung von neuen Arzneimitteln für seltene Erkrankungen.

Portrait Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA)

Nützliche neue Untersuchungen und Therapien in die Versorgung zu bringen und qualitätsgesichert anzubieten, ist immer eine Herausforderung, bei kleinen Patientengruppen aber in besonderer Weise.

Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des G-BA

Wo liegen die besonderen Herausforderungen mit Blick auf Diagnostik und Therapie?

Nützliche neue Untersuchungen und Therapien in die Versorgung zu bringen und qualitätsgesichert anzubieten, ist immer eine Herausforderung, bei kleinen Patientengruppen aber in besonderer Weise. Denn es ist schwierig, aus einer Studie mit wenigen Teilnehmern einen auf die gesamte Patientengruppe verallgemeinerbaren medizinischen Nutzen abzuleiten. Genau das ist aber die Entscheidungsgrundlage für den G-BA bei der Frage, ob eine neue Leistung aufgenommen werden soll oder nicht. Losgelöst von einzelnen Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden versuchen wir aber auch, neue Versorgungsangebote für Menschen mit seltenen Erkrankungen zu entwickeln. So fördern wir über den Innovationsausschuss beim G-BA Projekte mit neuen strukturellen Ansätzen und überprüfen, ob sie für die Regelversorgung geeignet sind. Dabei geht es beispielsweise um schnelle und gesicherte Diagnosestellungen bei einem Verdacht auf eine seltene Erkrankung. Derzeit dauert es oft viel zu lang, bis die Betroffenen Klarheit haben.

Welche Herausforderungen bestehen bei Arzneimitteln gegen seltene Erkrankungen (Orphan Drugs)?

Hier ist es ähnlich wie bei neuer Diagnostik und Therapie: Es gibt naturgemäß nur eine kleine Patientengruppe, an der untersucht werden kann, wie sicher und zuverlässig das neue Arzneimittel ist. Abgesichertes Wissen über den genauen, auch langfristigen Nutzen gibt es oftmals nicht – die Hoffnungen bei den Betroffenen sind natürlich dennoch riesengroß. Der G-BA flankiert die Anwendung eines neuen Orphan Drugs dann bei Bedarf mit qualitätssichernden Anforderungen an die medizinischen Einrichtungen oder behandelnden Ärztinnen und Ärzte. Oder er sieht verpflichtend vor, Daten aus der laufenden Patientenbehandlung zu gewinnen, um den therapeutischen Stand des Medikaments im Vergleich zu Alternativen besser beurteilen zu können.

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