BSG-Urteil

Zahlungen der Krankenkassen sind verfassungswidrig

Das Bundessozialgericht (BSG) hat in seinem Urteil vom 18. Mai 2021 – B 1 A 2/20 R – entschieden, dass Zahlungen der Krankenkassen an die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) verfassungswidrig sind. Gegenstand der Entscheidung des BSG war die mit dem Präventionsgesetz zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene Regelung in § 20 Abs. 3 SGB V. Der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) begrüßt die Entscheidung. So wird mit diesem Urteil auch die Selbstverwaltung gestärkt.

Symbolbild: Richterhammer und Geldscheine

Das Präventionsgesetz sieht vor, dass der GKV-Spitzenverband die BZgA zur Unterstützung der Krankenkassen bei der Wahrnehmung der Präventionsausgaben beauftragt und jährlich einen bestimmten Anteil der Präventionsmittel – 0,51 Euro je Versicherten im Jahr 2021 – an die BZgA zahlen muss. Davon soll die BZgA die Unterstützungsleistung finanzieren können. Der Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes hielt diese Vorschrift für rechts- und verfassungswidrig und verweigerte die Zahlung zunächst. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) verpflichtete daraufhin den Verwaltungsrat durch einen förmlichen Bescheid zur Zahlung, wogegen der GKV-Spitzenverband klagte.

Zwangsabgabe ist unzulässig

Das BSG stellt nun in seinem Urteil klar, dass der Bund seinen eigenen Behörden keine Aufgaben der gesetzlichen Krankenkassen übertragen darf. Prävention ist eine Aufgabe, die der Gesetzgeber den gesetzlichen Krankenkassen zugewiesen hat und die diese – geschützt durch Art. 87 Abs. 2 GG – als eigene Aufgabe in organisatorischer und finanzieller Selbstständigkeit wahrnehmen. Die Übertragung von Teilen dieser Aufgabe auf eine Behörde des Bundes verstößt gegen diese Gewährleistung der Selbstständigkeit. Außerdem stellt die den Krankenkassen auferlegte Zwangsabgabe einen verfassungsrechtlich unzulässigen Transfer zur Finanzierung einer staatlichen Behörde aus Beitragsmitteln dar. Denn Beitragsmittel dürfen alleine zur Finanzierung der Aufgaben der Krankenkassen eingesetzt werden und das Binnensystem der Sozialversicherung nicht verlassen.

Gleichzeitig legitimiert das BSG den GKV-Spitzenverband als eine Art Sachwalter der Interessen der Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen dazu, die Verfassungswidrigkeit gesetzlicher Regelungen geltend zu machen, um so eine sonst nicht mögliche verfassungsrechtliche Prüfung durch die Gerichte herbeizuführen. Hierin liegt die über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Entscheidung, durch die die Selbstverwaltung als Wesenselement der gesetzlichen Krankenkassen in besonderer Weise gestärkt wird. Zwar sind die gesetzlichen Krankenkassen gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden. Ungeachtet der fehlenden eigenen Grundrechtsfähigkeit besteht aber ein im Rechtsstaatsprinzip begründetes Bedürfnis, den Sozialversicherungsträgern die Möglichkeit einzuräumen, im Interesse der Gesamtheit ihrer Mitglieder eine gerichtliche Überprüfung der Vereinbarkeit gesetzlicher Regelungen mit den Vorgaben der Verfassung herbeizuführen.

Das Urteil wirft Fragen auf

Das Urteil des BSG ist zu begrüßen. Es wirft allerdings Fragen auf, denn nur das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) kann eine gesetzliche Regelung für nichtig erklären und damit außer Kraft setzen. Die verfassungswidrige Vorschrift bleibt also einstweilen bestehen.

Formal sind die Krankenkassen somit weiterhin verpflichtet, die verfassungswidrige Zwangsabgabe an die BZgA zu entrichten. Unbeantwortet sind auch die Fragen nach der Verwendung der derzeit noch nicht verausgabten rund 70 Millionen Euro, die im Haushalt der BZgA verbucht sind, nach der Fortführung bereits begonnener Projekte sowie nach der Sicherung der aus den BZgA-Geldern finanzierten Stellen außerhalb der BZgA.

Die Ersatzkassen vertreten die Position, dass die Entrichtung weiterer Beitragsmittel an die BZgA mit sofortiger Wirkung zu stoppen ist. Zudem sind die noch nicht verausgabten Mittel zur Finanzierung der laufenden Projekte sowie zur Finanzierung der bei den Krankenkassen und ihren Verbänden eingerichteten Stellen zu verwenden. Etwaig verbleibende Mittel sind über den GKV-Spitzenverband an die Krankenkassen zurückzuführen. Der Gesetzgeber ist aufgefordert, gemeinsam mit den Krankenkassen hierzu sowie zu weiteren offenen Fragen in einen konstruktiven Dialog zu treten.

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