Reformen

Der Handlungsdruck ist groß

Der neue Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach muss sich zunächst um die Bekämpfung der Corona-Pandemie kümmern. Doch im Gesundheitswesen und in der Pflege sind Reformen nötig, die nicht ewig auf die lange Bank geschoben werden dürfen.

Illustration: Reformbedarf in Gesundheitspolitik

Nach den ungeschriebenen Regeln des Berliner Politikbetriebs hätte Karl Lauterbach nie Bundesgesundheitsminister werden können. Wer sich öffentlich für ein Amt ins Gespräch bringt und dann auch noch mehrfach darüber redet, was er alles angehen würde, wenn er den Posten hätte, schießt sich normalerweise selbst ins Aus. Doch an dem SPD-Politiker, der in der Corona-Krise mit seinen Einschätzungen und Vorschlägen oft richtig lag und in der Bevölkerung wegen seines Sachverstands ein hohes Ansehen genießt, kam Kanzler Olaf Scholz (SPD) nicht vorbei. Er ist nicht der erste Mediziner in diesem Amt, aber sicherlich der bisher erfahrenste im Bereich der Gesundheits- und Pflegepolitik.

Allerdings hat Lauterbach nach seinem Amtsantritt alle Erwartungen nach raschen Reformen gedämpft. Vorrang habe die Bekämpfung der Pandemie, betont er immer wieder. Das war eigentlich anders geplant: Bei der Abfassung des Koalitionsvertrags waren SPD, Grüne und FDP fälschlicherweise noch von einem baldigen Ende der Pandemie ausgegangen. Dass die niedrige Impfquote und neue Virusvarianten für weitere massive Wellen sorgen könnten, haben die Ampelparteien ganz offensichtlich nicht bedacht.

Lauterbach kann es sich allerdings nicht leisten, die Reformarbeit sehr lange ruhen zu lassen. Schließlich sorgt nicht zuletzt die Pandemie für Handlungsdruck bei einer Reihe von Vorhaben, die im Koalitionsvertrag vereinbart sind: Die Krankenhausplanung soll sich danach am tatsächlichen Versorgungsbedarf ausrichten, die Finanzierung will die Ampel um erlösunabhängige Vorhaltepauschalen ergänzen. Zudem ist eine Reform der Notfallversorgung durch den Aufbau von integrierten Notfallzentren in Aussicht gestellt. Auch das ist durch die Pandemie dringender denn je: Zuletzt hatte der neue Corona-Expertenrat der Bundesregierung vor einer massiven Belastung der Notaufnahmen durch die Omikron-Welle gewarnt.

Keinen Verzug darf es auch bei den Vorhaben im Pflegebereich geben – sowohl in der Kranken- als auch in der Altenpflege. Der Sektor blutet immer weiter aus, wenn es nicht gelingt, durch angemessene Personalschlüssel und höhere Löhne für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen. Fraglich ist jedoch, ob im Krankenhaus tatsächlich wie vereinbart die Pflegepersonalregelung 2.0 als Übergangslösung eingeführt werden sollte. Nicht ohne Grund befürchten die Krankenkassen, dass auch damit nicht verbindlich festgelegt ist, wie viele Pflegekräfte tatsächlich pro Schicht am Bett im Einsatz sind.

Der neue Minister muss zudem ein Problem lösen, mit dem zuletzt vor etwa 20 Jahren die damals von Lauterbach beratene Ressortchefin Ulla Schmidt (SPD) konfrontiert war: massive Defizite in der Krankenversicherung. Derzeit ist die Finanzlage nur deshalb stabil, weil der Bund seinen jährlichen Steuerzuschuss von normalerweise 14,5 Milliarden Euro einmalig fast verdoppelt hat. Wird nichts unternommen, müssen die Beitragssätze Anfang 2023 im Durchschnitt um fast einen Prozentpunkt steigen – nicht die Folge der Corona-Pandemie, sondern teurer Reformen aus den beiden vorherigen Wahlperioden.

Leistungskürzungen zum Stopfen der Löcher hat Lauterbach allerdings bereits ausgeschlossen. Strukturelle Reformen, etwa im Krankenhaussektor, können erfahrungsgemäß erst mittelfristig Einsparungen bringen und verursachen oft zunächst Mehrkosten. Bleiben die im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellten Entlastungen: Die Dynamisierung des Bundeszuschusses und höhere Krankenkassenbeiträge vom Bund für die Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II aus Steuermitteln.

Das könnte in etwa reichen, das für 2023 erwartete Defizit zu decken, schließlich müsste der Bund für eine Kostendeckung der Beiträge etwa zehn Milliarden Euro mehr zahlen. Doch von einem vollständigen Ausgleich, wie noch im Entwurf des Koalitionsvertrags formuliert, ist in der Endfassung keine Rede mehr. Auf Nachsicht des Finanzministers kann Lauterbach nicht setzen. Denn Christian Lindner (FDP) will 2023 die Schuldenbremse wieder einhalten. Damit sind die Spielräume im Bundeshaushalt jedoch sehr überschaubar.

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