Verbandsjubiläum

110 Jahre vdek

Am 20. Mai 1912 hat sich der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) gegründet – somit gestaltet er seit 110 Jahren die medizinische und pflegerische Versorgung mit und vertritt die gesundheitspolitischen Interessen seiner Mitgliedskassen. Im Laufe dieser letzten Jahrzehnte finden sich politische Leitthemen wie Selbstverwaltung, Finanzierung, Wettbewerb und Pflege bis heute wieder. Auch in Zukunft setzen sich der vdek und die Ersatzkassen für eine hochwertige moderne Gesundheitsversorgung ihrer Versicherten ein.

Illustration: Zeitstrahl in Form eines EKG

Die Hilfskassen gründen sich bereits ab dem 18. Jahrhundert, um die arbeitende Bevölkerung im aufkommenden Zeitalter der Industrialisierung gegen das Krankheitsrisiko abzusichern. Gesellen und Gehilfen unterstützen sich gegenseitig in Notsituationen. Auch die Angestellten bilden ab 1883 freie Hilfskassen. In den Hilfskassen haben die Ersatzkassen ihre Wurzeln. Nach der Gründung des Verbands im Jahr 1912 wird er in „Verband kaufmännischer Ersatzkassen“, im Jahr 1922 dann in „Verband kaufmännischer Berufskrankenkassen (Ersatzkassen)“ umbenannt. Zwei wichtige Alleinstellungsmerkmale zeichnen die Ersatzkassen aus: die freiwillige Mitgliedschaft und die Selbstverwaltung durch die Versicherten. Auch dem Gedanken des Wettbewerbs stehen die Ersatzkassen von Beginn an nah, als Alternative zu den Zwangskassen oder Primärkassen. Neben der Interessenvertretung ist es die Aufgabe des Verbandes, die medizinische Versorgung über Verträge zu gestalten. Das gilt bis heute. Große Krisen müssen der Verband und seine Mitgliedskassen durch die beiden Weltkriege, Inflation und die düstere Zeit des Nationalsozialismus überwinden. Immer wieder geht es auch darum, die Finanzierung zu sichern und die Vereinheitlichung des Kassenwesens beziehungsweise die Abschaffung der Ersatzkassen politisch zu verhindern. Das gelingt zwar – jedoch wird zur Zeit des NS-Regimes das Selbstverwaltungsprinzip abgeschafft und ein Gauleiter übernimmt die Geschäfte. Nun muss der Verband sich der menschenverachtenden Staatsideologie unterordnen.

Ebenfalls in dieser Zeit wird eine scharfe Trennlinie gezogen zwischen den Ersatzkassen für Arbeiter einerseits und den Ersatzkassen für Angestellte andererseits. Der „Verband kaufmännischer Berufskrankenkassen (Ersatzkassen)“ wird in den „Verband der Angestellten-Krankenkassen e. V.“ (VdAK) umbenannt. Die Entsprechung für Arbeiterinnen und Arbeiter ist der „Verband freier Krankenkassen e. V.“, der später den Namen „Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e. V.“ (AEV) erhält.

Selbstverwaltung und Solidarität

Nach dem Zweiten Weltkrieg werden das gegliederte Krankenkassensystem wieder eingeführt und die Ersatzkassen in den westlichen Besatzungszonen erneut zugelassen (in Berlin erst 1957). Mit der Gründung der Bundesrepublik sollen die Ersatzkassen auch ihr Recht auf Selbstverwaltung zurückerhalten. Die ersten Wahlen für die Selbstverwaltungsorgane finden 1953 statt, im kommenden Jahr finden sie zum 13. Mal statt. Dies ist ein urdemokratisches Prinzip, das bis heute für Mitbestimmung und Beteiligung der Versicherten und Arbeitgebenden in den Gremien der Ersatzkassen und ihres Verbandes sorgt. Es bleibt auch bei dem bewährten Solidarprinzip: Alle Versicherten erhalten die gleiche Versorgung, unabhängig von Geschlecht, Alter, Einkommen oder Krankheitsrisiko, und es gibt die beitragsfreie (Familien-)Mitversicherung. Wichtig ist auch die 1953 eingeführte unabhängige Sozialgerichtsbarkeit, die den Gedanken eines vom Staat unabhängigen Sozialversicherungswesens stärkt.

Anders sieht das in der damals neu gegründeten DDR aus, wo der Staat die Sozialversicherung gleichschaltet – 90 Prozent der DDR-Bevölkerung sind hier in einer Einheitsversicherung pflichtversichert.

Feier zum 75-jährigen vdek-Jubiläum

Am 20. Mai 1987 feiert der Verband sein 75-jähriges Bestehen. Damals firmiert er unter dem Namen „Verband der Angestellten-Krankenkassen“ (VdAK) und hat seinen Sitz in Siegburg in der Frankfurter Straße 84.

Attraktiver Vertragspartner auf Bundes- und Landesebene

Für die Ersatzkassen und den Verband beginnt in den 50ern und den darauffolgenden Jahren eine Zeit des Aufwinds. Der AEV lässt nun die Geschäfte vom VdAK führen, die Position der Ersatzkassen und der Verbände festigt sich. Der Leistungskatalog der GKV wird in den 70er Jahren ausgeweitet. Die Ersatzkassen sind mit dem seit 1929 bestehenden Arzt-/Ersatzkassenvertrag und dem Vertrag über die zahnärztliche Versorgung und ihrer besonderen Ersatzkassen-Gebührenordnung attraktive Vertragspartner und integrieren in den 70er Jahren erstmalig die Krebsvorsorge und Psychotherapie in ihr Leistungsspektrum. Trotz der staatlichen Vereinheitlichungstendenzen und mehr kollektivvertraglichen Regelungen setzen die Ersatzkassen immer wieder besondere Akzente in der Versorgung. Dafür sorgen seit Beginn der 90er Jahre auch die damals neu gegründeten Landesvertretungen, deren Aufgabe es neben der Interessenvertretung auf Landesebene ist, die gesundheitliche und pflegerische Versorgung in Verträgen mit den Leistungserbringenden in den Bundesländern auszugestalten.

Wettbewerbliche Orientierung

In den 70er Jahren explodieren die Kosten in allen Leistungsbereichen und damit auch die Beitragssätze. Kostendämpfungsgesetze folgen. Beklagt wird der mangelnde Wettbewerb zwischen den Krankenkassen. Die AOK sieht Wettbewerbsnachteile in den Organisationsstrukturen (AOK als Zuweisungskasse, Ersatzkassen als Wahlkassen für bestimmte Berufsgruppen). Zudem dürfen 25 Millionen Menschen ihre Kasse nicht frei wählen. Mit dem Gesundheitsstrukturgesetz von 1993 wird schließlich die Wahlfreiheit für alle Versicherten eingeführt, verbunden mit einem Ausgleichsmechanismus – dem Risikostrukturausgleich (RSA) –, der verhindern soll, dass unterschiedliche Risikostrukturen bei den Krankenkassen zu Wettbewerbsnachteilen führen. Seit Inkrafttreten der Regelung zeigt sich jedoch, dass immer wieder Modifizierungen an dem Finanzausgleich der Kassen notwendig sind, um Fehlentwicklungen zu vermeiden und faire Wettbewerbsbedingungen zu erreichen. Hinzu kommt 1993 die Regionalisierung des Vertragsgeschäfts. All diese Regelungen treffen die Ersatzkassen und ihren Verband hart, doch stellen sich diese den neuen Anforderungen an einen härteren Wettbewerb offensiv und schnell: mit einem personellem Aufbau in den Ländern (Gründung der VdAK-Landesvertretungen), mehr Service- und Dienstleistungsorientierung, einem attraktiven Versorgungsangebot.

Die Wiedervereinigung Deutschlands stellt die Ersatzkassen und den Verband wieder vor große Herausforderungen. Ab dem 1. Januar 1991 müssen in den fünf neuen Bundesländern neue Krankenkassenstrukturen nach westdeutschem Vorbild aufgebaut werden. Dies gelingt in nur wenigen Monaten. Die Ersatzkassen und ihr Verband sind nun auch in den neuen Bundesländern präsent. In den 90er Jahren kommt der Aufbau der sozialen Pflegeversicherung als neuer Zweig der Sozialversicherung für die Ersatzkassen und den Verband hinzu. Damit reagiert die Politik nach 20 Jahren intensiver Debatte endlich auf die wachsende Zahl pflegebedürftiger Menschen, die zunehmend auf Sozialhilfe angewiesen sind. 1995 wird sie als Pflichtversicherung mit einheitlichem Beitragssatz eingeführt, organisatorisch aber an die Krankenversicherung angebunden.

vdek-Mitgliederversammlung vom 8. Dezember 2021

Wichtigstes Entscheidungsgremium ist die Mitgliederversammlung (hier abgebildet die hybride vdek-Mitgliederversammlung vom 8. Dezember 2021). Sie spielt eine zentrale Rolle bei der Gesundheitsversorgung, indem sie die Interessen der Versicherten berücksichtigt.

Neuorganisation der Verbandsstrukturen

Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz von 2007 verändert den Handlungsrahmen der Ersatzkassen und des Verbandes fundamental. 2009 wird der Gesundheitsfonds eingeführt, der Beiträge der Kassen einsammelt und nach Kriterien des RSA wieder ausschüttet. Neben dem allgemeinen paritätisch finanzierten Beitragssatz wird nun ein pauschaler Zusatzbeitrag eingeführt, den die Versicherten allein zahlen müssen, wenn das Geld aus dem Fonds nicht reicht. Nicht zuletzt der unermüdlichen politischen Intervention des Verbandes ist es zu verdanken, dass seit 2015 der Zusatzbeitragssatz wieder prozentual, seit 2019 sogar wieder paritätisch ausgestaltet ist. Der GKV-Spitzenverband wird gegründet, der nun einen Teil der gesetzlichen Aufgaben für alle Krankenkassen wahrnehmen soll. Eine Neuausrichtung des Verbandes wird notwendig. Im Mittelpunkt stehen weiterhin die Vertretung der gemeinsamen (vertrags-)politischen Interessen der Ersatzkassen auf Bundes- und Landesebene. Zudem wird die Funktion des Verbandes als Dienstleister gestärkt. Der AEV und der VdAK fusionieren zu dem Verband der Ersatzkassen e. V. – kurz vdek. Um die politische Präsenz zu erhöhen, verlegt der Verband seinen Sitz 2009 von Siegburg nach Berlin.

Finanzierung der GKV und SPV nachhaltig sichern

Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der GKV sind zum Zeitpunkt des Umzugs schwierig. Die weltweite Bankenkrise löst eine weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise aus. Dies belastet auch die Krankenkassen. Zur Stabilisierung des Zusatzbeitragssatzes steuert der Staat der GKV nun mehr Steuerzuschüsse bei. Damit beginnt ein ständiges Auf und Ab bei der Gewährung von Zuschüssen durch den Staat zur Kompensation versicherungsfremder Leistungen. Ein zentrales Thema des Verbandes bleibt die Weiterentwicklung des Finanzausgleichs – nun Morbi-RSA –, der zu Wettbewerbsverzerrungen zulasten der Ersatzkassen führt. Stetige politische Überzeugungsarbeit zeigt 2020 endlich Wirkung. Es wird ein Gesetz für eine umfassende Reform des Finanzausgleichs im Parlament verabschiedet.

Ab 2018 weitet die Politik die Leistungen im Rahmen von teuren Gesetzen aus. Dies belastet die Ausgaben der Krankenkassen in den Folgejahren stark und führt zu einer angespannten Finanzlage, die ab 2020 auch noch zusammenfällt mit der Corona-Pandemie. Die Krankenkassen übernehmen nun im Auftrag des Staates zahlreiche Aufgaben zur Aufrechterhaltung der Versorgung – von der Organisation der zahlreichen Rettungsschirme für Leistungserbringende bis hin zur Vereinbarung von Sonderregelungen für Versicherte, beispielsweise der Ausweitung von Videosprechstunden. Dafür erhält die GKV zwar eine Kompensation durch den Staat, die strukturelle Unterdeckung, vor allem verursacht durch eine expansive Ausgabenpolitik, hält aber unvermindert an und bleibt laufend Gegenstand politischer Auseinandersetzungen. Der vdek bringt sich auch aktuell mit Konzepten zur nachhaltigen Finanzierung in die aktuelle Debatte ein. Das gilt auch für die Soziale Pflegeversicherung, die den demografischen Wandel stärker zu spüren bekommt als die GKV. Viele Reformen werden angestoßen, um die Situation der pflegebedürftigen Menschen zu verbessern, das Kernproblem bleibt die Frage der Finanzierung. Der vdek setzt sich sehr dafür ein, dass die Eigenanteile der Pflegebedürftigen vor allem in der stationären Pflege begrenzt werden, und fordert ein stärkeres Engagement des Staates, der Länder und der privaten Pflegeversicherung.

Mehr Qualität, Transparenz und Effizienz in der Versorgung

Schon seit den 80er Jahren versucht die Politik, nachhaltige Strukturreformen im Gesundheitswesen auf den Weg zu bringen. Themen wie Effektivität und Effizienz der Versorgung, das Problem von Unter-, Fehl- und Überversorgung, eine stärkere Qualitäts- und Patientenorientierung und die bessere Verzahnung des ambulanten und stationären Bereichs stehen auf der politischen Agenda. Verschiedene Reformen sollen den Krankenkassen mehr Vertragsfreiheiten bringen und den Wettbewerb um eine gute Versorgung fördern. Die Ersatzkassen und der vdek nutzen die Möglichkeiten und konzipieren neue innovative Konzepte für die Versorgung der Versicherten. Die letzten zehn Jahre sind verstärkt geprägt von dem Ziel, die Versorgung in strukturschwachen Regionen sicherzustellen. Als bundesweite Kassen verknüpfen sie flächendeckende Angebote mit besonderen regionalen Angeboten, was sie mit der Kampagne #regionalstark zum Ausdruck bringen.

Ergänzt wird dies durch ihr Engagement im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung, einem Feld, das seit 2015 per Gesetz einen größeren Stellenwert bekommen hat. Der vdek nimmt hier eine koordinierende Rolle ein und entwickelt auf die Lebenswelten zugeschnittene regionale und bundesweite Projekte, etwa für behinderte oder pflegebedürftige Menschen oder zur Stärkung der gesundheitlichen Chancengleichheit. Auch im Krankenhausbereich, dem größten Ausgabenblock in der GKV, hält die Debatte um notwendige Strukturreformen unvermindert an. Mit der Einführung eines neuen leistungsbezogenen Fallpauschalensystems in den Krankenhäusern (DRG-System) ab 2003 wird der Weg zu mehr Wettbewerb zwischen den Leistungserbringenden beschritten. Es folgen zahlreiche gesetzliche Regelungen zur Verbesserung der Qualität und Transparenz in der Krankenhausversorgung. Doch das reicht nicht aus. Der vdek fordert angesichts des zunehmenden Fachkräftebedarfs und der Spezialisierung der Medizin einen Konzentrations- und Spezialisierungsprozess der Krankenhauslandschaft sowie eine stärkere Qualitätsorientierung und Ambulantisierung.

vdek-Verbandszentrale in Berlin

Modern, fortschrittlich und mittendrin: Seit dem 29. Juni 2009 befindet sich die Verbandszentrale des vdek in Berlin, am Askanischen Platz 1.

Digitale Gesundheit und Patientensicherheit

Seit 2015 hat die Politik zahlreiche Digitalgesetze auf den Weg gebracht, sei es die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA), des elektronischen Rezepts (E-Rezept) oder der neuen digitalen Gesundheitsanwendungen wie die „Apps auf Rezept“ (DiGA). Die Ersatzkassen und der vdek haben die Digitalisierung des Gesundheitswesens sehr vorangetrieben, denn sie sehen darin große Potenziale, die Gesundheitsversorgung sicherer, qualitativ hochwertiger und effizienter zu gestalten. Das hat die Corona-Pandemie noch einmal deutlich unterstrichen. Dieser Prozess muss konsequent weitergeführt werden zum Wohle der Patientinnen und Patienten. Dabei geht es auch um die Stärkung der (digitalen) Gesundheitskompetenz und der Patientensicherheit. Mit dem vdek-Zukunftspreis fördert der Verband seit 2010 jährlich herausragende Projekte zur Verbesserung der Versorgung. Hinzu kommen Kampagnen und Bündnisse zum Thema Patientensicherheit, etwa mit dem „Weißbuch Patientensicherheit“ (2018), dem Innovationsfondsprojekt „RESIST“ zur Vermeidung unnötiger Antibiotika-Verordnungen (2016 – 2020) oder der Kampagne #Deutschland-ErkenntSepsis, die 2021 an den Start ging.

Für die Zukunft gerüstet

Die sechs Ersatzkassen (Techniker Krankenkasse (TK), BARMER, DAK-Gesundheit, KKH Kaufmännische Krankenkasse, hkk–Handelskrankenkasse und HEK–Hanseatische Krankenkasse) und ihr Verband haben sich im Laufe der wechselhaften Geschichte immer wieder großen gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen gestellt und sind auch für die Zukunft gut gerüstet. Ihr gemeinsames Ziel ist es, den Versicherten eine hochwertige, innovative medizinische und pflegerische Versorgung zu fairen Preisen anzubieten. Als Vertreter der größten Kassenart mit einem Marktanteil von 38,3 Prozent ist der vdek ein einflussreicher Verhandlungs- und Vertragspartner. Auch in der laufenden Legislaturperiode wird sich der vdek weiterhin für dringend notwendige Reformen im Gesundheitssystem stark machen.

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