Kieferorthopädie

Teure Privatleistungen ohne Zusatznutzen?

In einer aktuellen Studie haben der Sozial- und Gesundheitswissenschaftler Dr. Bernard Braun (Universität Bremen) und der Kieferorthopäde Dr. Alexander Spassov hkk-versicherte Eltern und Kinder zu ihren Erfahrungen mit ihrer kieferorthopädischen Behandlung befragt und die Antworten mit einer Untersuchung aus dem Jahr 2011 verglichen. Was hat sich in den vergangenen zehn Jahren verändert? Die gute Nachricht: Kinder und Jugendliche sind mit der Behandlung zufriedener als noch vor zehn Jahren. Die schlechte: Private Zuzahlungen zur Behandlung sind gestiegen. Ist das gerechtfertigt?

Illustration: Kieferorthopädie und Kosten

Im Vergleich der Studienergebnisse ist der Anteil „sehr zufriedener“ Kinder und Jugendlicher deutlich gestiegen (2011: 42 Prozent vs. 2021: 51 Prozent). Ausschlaggebend dafür waren in erster Linie ein vertrauensvolles Verhältnis zum behandelnden Arzt, eine problemlose und schmerzfreie Behandlung sowie die Verbesserung des Aussehens. Die Gründe für eine kieferorthopädische Behandlung haben sich aus Sicht der Befragten wenig verändert: Rund 45 Prozent (2011: 43 Prozent) hatten „eigentlich keine Beschwerden“. 32 Prozent (2011: 30 Prozent) wollten „einfach besser aussehen“. Ein „schrecklich“ aussehendes Gebiss oder Hänseleien spielten bei 20 Prozent (2011: 22 Prozent) der Befragten eine Rolle. Dabei ist auffällig, dass die Mehrheit vor Beginn der Behandlung nach eigenen Angaben nicht an medizinischen oder funktionell relevanten Problemen des Gebisses litt: Lediglich rund elf Prozent der Kinder und Jugendlichen gaben in beiden Befragungen „erhebliche Probleme“ beim Essen und/oder Sprechen an.

Die am häufigsten von den Eltern genannten Gründe für eine Behandlung waren Zukunftsannahmen über die weitere Gebissentwicklung und ihre Folgen, präventive Absichten sowie psychosoziale Aspekte. Zwar rechtfertigen die KFO-Richtlinien auch Behandlungen, falls zukünftige funktionelle Beeinträchtigungen drohen (§ 29 SGB V), doch dazu liefern wissenschaftliche Erkenntnisse keine ausreichenden Hinweise, wie ein IGES-Gutachten des Bundesministeriums für Gesundheit von 2019 zeigt.

Schönheit hat ihren Preis

Privatleistungen wie flexible Drähte/Bögen, spezielle Zahnreinigung, Glattflächenversiegelung und Brackets mit Selbst-Schließmechanismus haben in beiden Untersuchungszeiträumen dreiviertel aller Befragten in Anspruch genommen. Der Studienvergleich zeigt, dass Eltern heute deutlich mehr Geld für Zusatzleistungen ausgeben als noch vor zehn Jahren: Mehr als doppelt so viele Eltern (2021: 31 Prozent vs. 2011: 15 Prozent) gaben an, 1.000 bis 2.000 Euro für Zusatzleistungen gezahlt zu haben; etwa elf Prozent (2011: 3 Prozent) sogar mehr als 2.000 Euro. Kosten von bis zu 500 Euro waren hingegen rückläufig und machen aktuell nur noch einen Anteil von 27 Prozent aus (2011: 50 Prozent).

Spassov sieht diese Entwicklung kritisch: „Auf die Frage, warum Privatleistungen in Anspruch genommen werden, erklärten die Befragten, die Kassenleistung reiche nicht aus, die Privatleistung verspreche einen besseren und schnelleren Behandlungserfolg oder die Kassenbehandlung könne nur in Kombination mit privaten Zusatzleistungen durchgeführt werden. Dabei haben kostenintensive Privatleistungen häufig keinen wissenschaftlich nachgewiesenen Zusatznutzen.“ Und er betont, dass private Zuzahlungen für Brackets oder Bögen letztlich unnötig seien, weil erstens der Leistungskatalog großzügig gestaltet ist. Und zweitens, weil zwischen den verschiedenen Produkten kaum Unterschiede hinsichtlich Behandlungsdauer, Schmerzen, Hygienefähigkeit sowie Gesundheitsrisiken bestehen.

Damit Eltern künftig eine informierte Entscheidung bei Privatleistungen treffen können, empfehlen die Studienautoren – ähnlich dem IGeL-Monitor – evidenzbasierte Nutzenbewertungen hinsichtlich Behandlungsdauer und -erfolg.

» Der gesamte Report steht auf hkk.de/gesundheitsreport zum Download bereit.

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