Arzneimittel

Faire Preise statt Mondpreise

Ist es fair, wenn die Krankenkassen immer mehr Geld für immer weniger Arzneimittel ausgeben müssen? Ist es akzeptabel, wenn von 200 neu auf den Markt gekommenen Medikamenten nur knapp die Hälfte eine Verbesserung für die Patientinnen und Patienten bringt? Ist es hinnehmbar, dass der Durchschnittspreis für ein neues Arzneimittel innerhalb von nur sieben Jahren um 1.200 Prozent steigt? Der Handlungsbedarf in der Preisgestaltung ist unübersehbar.

Illustration: Arzneimittelpreise

Der achte Innovationsreport, den das Team um Prof. Dr. Gerd Glaeske von der Universität Bremen mit Unterstützung der Techniker Krankenkasse (TK) erarbeitet hat, ist dieses Mal etwas anders: Er zieht die Erkenntnisse aus den sieben vorherigen Reporten heran, um ein größeres Bild über das Nutzen- und Ausgabengeschehen zu zeichnen und Lösungsvorschläge für eine strukturelle, langfristige und faire Preisgestaltung aufzuzeigen.

Die Ausgangslage stimmt nicht optimistisch. Von den 200 in den bisherigen Reporten bewerteten Arzneimitteln brachte knapp die Hälfte keine Verbesserung für die Patientinnen und Patienten. Das ist mit Blick darauf, dass sie große Hoffnungen in die Behandlung mit diesen Wirkstoffen setzen, keine akzeptable Quote. Den Beitragszahlerinnen und -zahlern ist das Ergebnis ebenfalls nicht vermittelbar.

Ein weiterer Aspekt: Von 2010 bis 2017 ist der durchschnittliche Packungspreis eines neuen Medikamentes um sagenhafte 1.200 Prozent gestiegen. Welche andere Industrie kann für Produkte aus ihrem Portfolio eine solche Steigerung in weniger als einer Dekade verzeichnen? Und: Mit 53 Prozent oder 22 Milliarden Euro entfiel mehr als die Hälfte der Ausgaben auf patentgeschützte Arzneimittel, obwohl ihr Verordnungsanteil nur ein Zehntel ausmacht. Man muss sich immer wieder bewusst machen: Patente sind gut und wichtig, allerdings ist das Patent ein juristischer, kein klinischer Begriff.

Wie können nun Lösungen der beschriebenen Probleme aussehen, die zu einer fairen und nachhaltigen Preisgestaltung führen und zugleich den Versicherten den raschen Zugang zu echten Innovationen ermöglichen? Vorausgeschickt sei gesagt: Deutschland braucht eine innovative Pharmaindustrie, zugleich ist es überfällig, die richtigen Forschungsanreize zu setzen. Das vor einem Jahrzehnt eingeführte Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) war seinerzeit ein echter Meilenstein und hat respektable Ergebnisse erzielt. Nach zehn Jahren zeigt sich allerdings – das ist nicht verwunderlich – Nachbesserungsbedarf.

Es ist zu begrüßen, dass der verhandelte Erstattungspreis sieben statt bisher zwölf Monate nach Markteintritt gelten soll. Noch besser wäre es aus TK-Sicht, wenn der Erstattungsbetrag rückwirkend ab Markteintritt gälte. Darüber hinaus würde auch eine Absenkung des Mehrwertsteuersatzes unmittelbare Entlastungen für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) generieren. Zusätzlich bedarf es allerdings struktureller Maßnahmen, auch hier hat sich die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag positioniert: „Das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) entwickeln wir weiter. Wir stärken die Möglichkeiten der Krankenkassen zur Begrenzung der Arzneimittelpreise.“ Diese Weiterentwicklung muss jetzt auf den Weg gebracht werden.

Der dynamische Evidenzpreis Pro

Ein Modell ist der dynamische Evidenzpreis Pro (dynEPiPro) – als Weiterentwicklung des heutigen AMNOG-Prozesses. Das Modell verbindet die Vorteile aus dem AMNOG-Prozess mit denen einer kriterienbasierten Preisbildung: Für neue Arzneimittel gilt bei Markteinführung eine kriterienbasierte Preisobergrenze. Es erfolgt eine Nutzenbewertung. Bei positivem Zusatznutzen kann die Preisobergrenze vollständig ausgeschöpft werden. Liegt kein oder nur ein unsicherer Zusatznutzen vor, wird ein Interimspreis gebildet, der sich an Vergleichstherapien mit Preisen auch aus dem generischen Markt orientiert. Ausgehend vom Einführungspreis wird das Preisniveau anhand der aktuellen Evidenzlage verflüssigt. Das bedeutet, dass je nach Zusatznutzen entweder Aufschläge auf den Interimspreis angerechnet werden oder der Preis über die Zeit mittels gestaffelter Abschläge ins generische Preisniveau mündet. Kriterien können die Kosten für Forschung und Entwicklung, die Anzahl erwarteter Patienten und der Innovationsgrad sein. Die Association Internationale de la Mutualité (AIM) hat mit dem „Fair Pricing Calculator“ ein mögliches Modell für eine kriterienbasierte Preisbildung gezeigt. Mit dem dynEPiPro können bei Markteintritt, in der Zeit des Patentschutzes und bei Eintritt in die patentfreie Vermarktungsphase nachhaltig marktgerechte Preise realisiert werden, es werden Innovationen gefördert und die Kosten für Arzneimittel ohne therapeutischen Benefit frühzeitig und nachhaltig gesenkt. Unter dem Strich ist der dynEPiPro zehn Jahre nach Einführung des AMNOG ein zukunftsweisendes, transparentes und faires Modell.

Weitere Artikel aus ersatzkasse magazin. (3. Ausgabe 2022)