Resilienz des Gesundheitssystems

Lehren aus der Corona-Pandemie

Die Corona-Pandemie hat das deutsche Gesundheitssystem vor große Herausforderungen gestellt und dessen Stärken und Schwächen – wie eine Art „Stresstest“ – deutlich sichtbar gemacht. Auch zukünftig werden disruptive Ereignisse wie eine weitere Pandemie oder Folgen des Klimawandels unsere Gesundheit und unser Gesundheitssystem immer wieder herausfordern und belasten.

Illustration: Resilienz

Es ist unabdingbar, Maßnahmen, die bisher in Krisen ergriffen wurden, zu reflektieren und evaluieren, aus ihnen zu lernen. Zudem gilt es, die Vorbereitung auf zukünftige Krisen stetig zu überprüfen und anzupassen, damit unser Gesundheitssystem gegenüber Krisen möglichst gut standhalten kann – und eben resilient ist. Der Sachverständigenrat für Gesundheit & Pflege beurteilte in seinem im Januar 2023 vorgelegten Gutachten die Resilienz des deutschen Gesundheitssystems und kam zu dem Schluss, dass dieses auf Krisen nicht ausreichend vorbereitet, sondern vielmehr „sehr komplex und fragil“ sei und daher dringend gestärkt werden müsse.

Wie stärkt man die Resilienz des Gesundheitssystems?

In Anbetracht der Vielgestaltigkeit möglicher Krisen sollte die Resilienz nicht nur für spezifische Krisen verbessert, sondern das System vor allem unspezifisch gestärkt werden, um gegebenenfalls auch auf nicht vorausgesehene Ereignisse vorbereitet zu sein (All-Gefahren-Ansatz). Die Erfahrungen mit der Corona-Pandemie haben darüber hinaus die Interaktion mit und Abhängigkeit des Gesundheitssystems unter anderem von der Wirtschaft (zum Beispiel bei Lieferketten von medizinischen Materialien und Medikamenten), internationalen Kooperationen, Bildung oder Arbeit verdeutlicht. Da Gesundheit somit nicht isoliert zu betrachten ist, befürwortet der Rat einen Health in all Policies-Ansatz, also das Berücksichtigen des Themas Gesundheit bei Entscheidungen und Gesetzgebungen verschiedener Ressorts.

Konkrete Schwachstellen des Gesundheitssystems zeigten sich beispielsweise im Bereich der Digitalisierung, deren Potenzial bei Weitem nicht vollumfänglich genutzt wird. Der Rat spricht sich dafür aus, die Datenverfügbarkeit zu erhöhen (zum Beispiel durch eine umfassend genutzte elektronische Patientenakte (ePA)) und die Interoperabilität zu stärken, um den einrichtungsübergreifenden Informationsaustausch einheitlich strukturierter und repräsentativer Daten zu ermöglichen. Digitale Systeme für Monitoring und Überwachung – etwa in Bezug auf die Patientenanzahl, zur Verfügung stehende Ressourcen, Arbeitsunfähigkeitsmeldungen und Todesbescheinigungen – müssen bereits vor einer Krise entwickelt, etabliert und (gegebenenfalls über das geplante Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit) zusammengeführt und kontinuierlich evaluiert werden, um in Krisen hilfreich eingesetzt werden zu können. Dabei sollen Gesundheitsdaten auf Grundlage gesetzlicher Befugnisnormen kontrolliert genutzt und wirksamer als bisher vor unberechtigtem Zugriff und Missbrauch geschützt werden.

Kommunikationsstruktur weiterentwickeln – Forschung stärken

Die Corona-Pandemie zeigte die Herausforderung, alle, aber insbesondere vulnerable Personengruppen gezielt zu informieren und etwa im Hinblick auf Präventionsmaßnahmen zu erreichen. Auch hierzu könnten die Daten der ePA genutzt werden, zum Beispiel bei der Etablierung eines elektronischen Frailty-Index, der zur Identifizierung und gezielten Kontaktaufnahme vulnerabler Personen herangezogen werden könnte. Einen wesentlichen Beitrag dazu, möglichst alle gut einzubeziehen, leistet aber auch eine transparente, wissenschaftlich fundierte und adressatengerechte Gesundheitskommunikation mit klaren Handlungsempfehlungen. Der Rat fordert, entsprechende Kommunikationsstrukturen in Deutschland weiterzuentwickeln und über das geplante Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit zu koordinieren.

Um zukünftige Pandemien zu verhindern beziehungsweise deren Folgen zumindest abzumildern und Präventionsmaßnahmen gezielt einsetzen zu können, muss die Forschung in der Infektiologie gestärkt werden. Dies könnte über einen spezifischen Schwerpunkt in der Inneren Medizin, den Ausbau fachspezifischer Kliniken sowie die Stärkung der interdisziplinären Arbeit zwischen Immunologie, Virologie, Infektiologie und Intensivmedizin gefördert werden. Auch hierbei können Möglichkeiten der Digitalisierung, beispielsweise KI-gestützte Datenanalysen, helfen.

Strukturelle Veränderungen sind notwendig, um die Resilienz des Systems zu stärken: So haben die Belastungen der Gesundheitsämter durch die Nachverfolgung von Infektionsketten die Notwendigkeit einer multiprofessionellen personellen und materiellen Stärkung sowie besseren digitalen Unterstützung des Öffentlichen Gesundheitsdiensts (ÖGD) offensichtlich gemacht. Des Weiteren sieht der Rat die Notwendigkeit, den ÖGD stärker mit Hochschulen zu vernetzen und flexible translationale Strukturen zwischen Forschung, Versorgung und ÖGD zu etablieren.

Das Fördern der Resilienz im Gesundheitssystem wird vom Rat in seinem Gutachten umfassend dargestellt und als eine komplexe Herausforderung beschrieben, der wir uns stellen müssen. Denn ein resilientes Gesundheitssystem kann nicht nur die Gesundheitsversorgung in Krisen verbessern, sondern sogar dazu beitragen, dass wir aus Krisen gestärkt hervorgehen. Das Fördern der Resilienz ist somit nicht als zusätzliche Belastung, sondern vor allem als Chance zu verstehen.

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