Gesundheitswesen

Datenaustausch kann Leben retten

Diskussionen rund um den Datenschutz im Gesundheitswesen werden in Deutschland oftmals von einem Standpunkt der Datenverarbeitungsverhinderung aus geführt. Dass sich durch das Ermöglichen von Datenverarbeitung auch positive Entwicklungen ergeben können, spielt dagegen kaum eine Rolle.

Illustration: Datenaustausch

Besonders für die Nutzung von medizinischen Versorgungsdaten im Sinne eines nachhaltigen und lernenden Gesundheitswesens, zum Beispiel über den individuellen Nutzen durch personalisierte Behandlungen und den gesellschaftlichen Nutzen durch die Entwicklung von Präzisionstherapien, ist der aktuelle Ansatz mitunter kurzsichtig und kann schwerwiegende Folgen für die Betroffenen selbst und die Funktionsfähigkeit unseres Versorgungssystems haben. Dies lässt sich besonders eindrücklich in den Fällen von fehlenden oder nicht übermittelten Daten zu Medikamentenunverträglichkeiten, Antibiotikaresistenzen und spät oder falsch gestellten Diagnosen, besonders der seltenen Erkrankungen, und darauf basierenden unpassenden Therapien verdeutlichen. Hier kostet ein Mangel an Datenaustausch und -nutzung, also ein zu restriktiv ausgelegter Datenschutz, sogar Menschenleben in Deutschland, wohingegen die Risiken einer unzulässigen Datenverarbeitung für Leib und Leben eher theoretischer Natur sind. Dieses Prinzip begegnet uns seit Jahren im Gesundheitswesen, wurde aber besonders durch die Herausforderungen der Corona-Pandemie vielfältig und vollumfänglich auch öffentlich sichtbar.

So hatte Deutschland große Schwierigkeiten, wichtige Ressourcen wie Intensivbetten, in Quarantäne befindliches Personal oder quarantänepflichtige Patient:innen korrekt und zeitnah zu erfassen und darauf basierende notwendige Maßnahmen für die Versorgung einzuleiten. Dies benötigt eine funktionierende digitale Infrastruktur und digitalisierte Datenflüsse lokal in den Kliniken, aber ebenso sektorenübergreifend zwischen Versorgungsstrukturen, regional und bundesweit. Auch die deutsche Impfquote lässt sich als passendes Beispiel heranziehen – hier musste Deutschland auf die Impfergebnisse anderer Länder wie Israel und Großbritannien für Entscheidungsfindungen zurückgreifen, weil diese ihre Impf- und Infektionsdaten kontinuierlich systematisch analysieren und öffentlich zugänglich darstellen (COVID-19 vaccine surveillance report der UKHSA). (1) (2) Daten von Menschen anderer Länder zu analysieren, aber entsprechende Auswertungen an sich selbst abzulehnen, erscheint dabei wenig konsequent und moralisch verwerflich.

Gute Beispiele für intersektoralen Datenaustausch

Wie der intersektorale Austausch von Daten personalisierte Versorgung in Deutschland ermöglicht, zeigt sich anhand nationaler, bisher nur aus wissenschaftlichen Ressourcen getragener Netzwerke – wie sie in der Onkologie zu finden sind. Prominente Beispiele wie das Netzwerk der Onkologischen Spitzenzentren (CCC-Netzwerk), Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) oder Nationale Netzwerk Genomische Medizin Lungenkrebs (nNGM) können durch standortübergreifenden Austausch von Forschungs- und Diagnosedaten seltene Krebserkrankungen verbessert identifizieren und beschleunigt erforschen. Dies fördert zum einen den Fortschritt von modernsten Behandlungs- und Therapiemethoden, gleichzeitig auch einen verbesserten, demokratisierten Zugang zu neuesten Methoden. Digitalisierung entkoppelt den Zentren- und Studienzugang in fortschreitendem Maße von der geografischen Lokalisation des Patientenwohnorts und leistet einen wesentlichen Beitrag zu Chancengleichheit, gesteigerter Versorgungsqualität und Heilungserfolgen von Krebspatient:innen und deren Betreuer:innen.

Blick auf die Nachbarländer

Um dies auch außerhalb spezialisierter Netzwerke zu realisieren, benötigen wir dringend ein lernendes Gesundheitssystem auf der Basis elektronischer Patientenakten und patientenzentrierter Datenräume. Unterschiedlichste Daten aus den verschiedensten Quellen (Hausärzt:innen, Fachärzt:innen, Kliniken etc.) werden gebündelt und sind den Bürger:innen selbst zugänglich. Hier sind standardisierte, interoperable Datenformate und Zugriffs- beziehungsweise Austauschregelungen von zentraler Bedeutung. Wieder sind es unsere europäischen Nachbarländer, von denen wir lernen können. Dänemark, England, Estland oder auch Finnland und Frankreich haben nationale Health Data Hubs geschaffen, welche per Opt-out-Prinzipien die Integration von Qualitätssicherung, adäquater Versorgung und Forschung in den klinischen Alltag erleichtern und ein effektiveres Gesundheitssystem ermöglichen. (3) (4) In Dänemark enthält das persönliche Gesundheitsportal von der Krankheitsgeschichte über E-Rezepte, Überweisungen hin zu Medikationsplänen, Operationen und Laborwerten alle wesentlichen Informationen unter Kontrolle des Einzelnen an einem (digitalen) Ort. (4)

Daten sind für viele unserer Patient:innen, nicht nur bei Krebs und seltenen Erkrankungen, zu einer Überlebensfrage geworden. In Anbetracht der vielfältigen Herausforderungen durch Krankheiten, Krisen, Kriege und die gewaltigen Verschiebungen des demografischen Wandels unserer Gesellschaft gilt das auch für das Gesundheitssystem. Eine Versorgung in bisheriger oder besserer Qualität und besonders eine bessere Resilienz gegen Krisen sind ohne intelligente, digital unterstützte Ansätze nicht zu schaffen.

Referenzen

  1. Bundesregierung, E. d. (22.01.2022).
  2. Agency, U. H. S. COVID-19 vaccine monthly surveillance reports.
  3. Digital, N. NHS Digital 2019–20 Annual Report and Accounts (2020).
  4. Thiel, R. u. a.: #Smart- HealthSystems. Digitalisierungsstrategien im internationalen Vergleich – Dänemark (Bertelsmann Stiftung, 2018).

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