Krankenhäuser

Not in der Notfallaufnahme – ein Ende in Sicht?

Das Patient:innenaufkommen in den Notaufnahmen der Krankenhäuser ist in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen; immer mehr Patient:innen suchen die Notaufnahmen auf, obwohl sie im vertragsärztlichen Bereich behandelt werden könnten. Für die Hilfesuchenden ist zum Teil nicht immer klar, welcher Versorgungsweg der richtige ist.

Notaufnahme Krankenhaus Arzt Rollstuhl Patient Eingang

Vielen Hilfesuchenden sind die ambulanten Notfallstrukturen wie zum Beispiel die Notfallnummer 116 117 der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV), Notdienstpraxen oder der fahrende Bereitschaftsdienst nicht bekannt. Zudem sind ambulante Angebote nicht überall und zu jeder Tageszeit gleich verfügbar oder die Wartezeiten auf einen Facharzttermin erscheinen den Patient:innen zu lang. Diese Umstände führen nicht nur zu einer Überlastung der Notaufnahmen, sondern auch zu einer großen Unzufriedenheit der Patient:innen und dem Krankenhauspersonal.

Gleichzeitig werden über die Notaufnahmen aber auch stationäre Krankenhausfälle generiert. Dies zeigt sich in den Empfehlungen der „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“, wonach die Zahl der stationär aufgenommenen Hilfesuchenden im Zeitraum zwischen 2009 und 2019 um 33 Prozent (6,6 auf 8,8 Millionen Fälle) stärker angestiegen ist als die Zahl der ambulant behandelten Personen. Hier betrug der Anstieg 24 Prozent (8,3 auf 10,3 Millionen Fälle). Dass die Kliniken ihr stationäres Einweisungsmanagement seit Jahren optimieren, zeigt sich zum Beispiel auch an Seminaren des Deutschen Krankenhausinstituts: „Die Notaufnahme ist eine der bedeutendsten Anlaufstellen im Krankenhaus. Zugleich ist sie eine wichtige Quelle für die Patientengewinnung.“ Es muss schließlich einen Grund geben, weshalb die Krankenhäuser jahrzehntelang bereit waren, die strukturelle Unterfinanzierung der Notaufnahmen durch die KV hinzunehmen.

Diese Probleme hat die Politik erkannt. Die Regierungskommission gab im Februar 2023 ihre vierte Stellungnahme zur Reform der Notfall- und Akutversorgung in Deutschland heraus, mit der die Not in der Notaufnahme gelindert werden soll. In späteren Empfehlungen sollen auch Stellungnahmen zum Rettungsdienst und zu anderen mobilen Diensten wie der pflegerischen Notfallversorgung folgen. Die aktuelle vierte Stellungnahme sieht insbesondere folgende Empfehlungen vor:

Aufbau integrierter Leitstellen

Patient:innen sollen künftig durch eine algorithmusgestützte telefonische beziehungsweise telemedizinische Ersteinschätzung durch Fachkräfte besser in den für sie richtigen Versorgungsweg gelotst werden. Daher sollen flächendeckend sogenannte integrierte Leitstellen (ILS) aufgebaut werden. Hierbei werden die Leitstellen für den Rettungsdienst (112) und des ärztlichen KV-Notdienstes (116 117) zusammengelegt. Auf diese Weise werden vorhandene Kapazitäten nicht nur effizient genutzt; die Patient:innen erfahren schnelle Hilfe und müssen nicht stundenlang mit Schmerzen in der Notaufnahme ausharren. Zudem dient es der Patientensicherheit, indem eine Unter- oder Überversorgung vermieden wird. Dies ist etwa dann der Fall, wenn Hilfesuchende sich selbst in die Notaufnahme begeben wollen und dabei atypische Symptome für einen Herzinfarkt nicht erkennen.

Die Regierungskommission empfiehlt zudem die Schaffung von integrierten Notfallzentren (INZ), die aus der Notaufnahme des Krankenhauses, KV-Praxis im oder unmittelbar am Krankenhaus und einer zentralen Ersteinschätzungsstelle – dem gemeinsamen Tresen – bestehen sollen. Zur Behandlung in den INZ kann die diagnostische Infrastruktur des Krankenhauses genutzt werden. Die INZ sollen an Krankenhäusern der erweiterten und umfassenden Notfallversorgung, aber nicht an Krankenhäusern der Basisnotfallversorgung geschaffen werden. Durch die Patient:innenbrille betrachtet macht dies in Ballungsgebieten durchaus Sinn, allerdings erscheint dies in ländlichen Gebieten zu kurz gegriffen. Hier müssen Patient:innen wohnort- und zeitnah und zu jeder Zeit eine Notfallbehandlung erhalten. Insofern muss ein INZ automatisch auch an Krankenhäusern der Basisnotfallversorgung angegliedert werden.

Gut ist, dass auch an Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin und Krankenhäusern mit pädiatrischer Abteilung integrierte Notfallzentren für Kinder- und Jugendliche (KINZ) eingerichtet werden sollen, um den speziellen Belangen von Kindern und Jugendlichen gerecht zu werden. Mit dem INZ werden die Patient:innen dort abgeholt, wo sie Hilfe suchen. Insofern ist es auch sinnvoll, dass die INZ abends und auch am Wochenende mindestens bis 21 Uhr beziehungsweise 22 Uhr geöffnet haben. Zu Nachtzeiten müsste den Patient:innen weiterhin die Notaufnahme des Krankenhauses zur Verfügung stehen, wenn das noch zu etablierende regionale Gremium nicht Öffnungszeiten rund um die Uhr der INZ festlegt.

Mehr Versorgungsqualität

In den meisten europäischen Ländern ist die Facharztqualifikation Notfallmedizin Standard. Von daher verwundert es nicht, dass sich die Regierungskommission ebenfalls für einen solchen Standard und auch für einen Facharzttitel Notfallmedizin ausspricht. Damit wird die Versorgungsqualität verbessert und eine fachfremde Versorgung vermieden. Hilfesuchende müssen erwarten können, dass sie im Notfall optimal versorgt werden und beispielsweise bei starkem Husten und Fieber nicht auf eine Gynäkologin oder einen Gynäkologen im fahrenden Bereitschaftsdienst der KV treffen. Dies erhöht auch das Vertrauen in die Notfallstrukturen der KV und der Krankenhäuser. Darüber hinaus werden richtigerweise auch Qualitäts-Mindeststandards in Form einer Mindestpersonalausstattung empfohlen.

Zwei Varianten der Finanzierung

Nicht ersichtlich ist allerdings, warum für die Etablierung der INZ eine zusätzliche Investitionsunterstützung erfolgen soll, da diese bereits heute im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) enthalten ist. Sollte darüber hinaus ein weiterer Investitionsbedarf für den Aufbau der INZ bestehen, muss dieser als gesamtgesellschaftliche Aufgabe aus Steuermitteln finanziert werden. Zur Finanzierung der INZ schlägt die Regierungskommission zwei Varianten vor: Die erste Variante sieht vor, dass KV-Praxen und Notaufnahmen innerhalb der jeweils bestehenden Systeme vergütet werden. Nach der zweiten Variante wäre eine Vergütung sowohl der KV-Praxen als auch Notaufnahmen aus einem gemeinsamen Finanzierungstopf nach einheitlichen Kriterien denkbar. Beide Vorschläge sind mit Vor- und Nachteilen behaftet. Fakt ist, dass die niedergelassenen Ärzt:innen kein sonderlich großes Interesse hatten, Notfallpatient:innen gerade in der Nacht und an Wochenenden und an den Feiertagen zu behandeln. Mehr als die Hälfte aller ambulanten Notfälle werden in den Krankenhäusern behandelt. Dies rückt das Interesse der KV an einer sachgerechten Vergütung der ambulanten Notbehandlung in ein anderes Licht. Wenn nun im Rahmen der Reform nach einer sachgerechten Vergütung der Notaufnahmen in den Krankenhäusern gesucht wird, muss folgerichtig die restliche KV-Vergütung abgesenkt werden. Bei der Finanzierung muss die Vorhaltung der Krankenhäuser, das heißt, das Personal zu Nachtzeiten und die strukturelle Infrastruktur, entsprechend berücksichtigt werden. Im Ergebnis ist sicherzustellen, dass KV-Praxen und die Notaufnahmen ihre Leistung differenziert und über das KV-Budget beziehungsweise die KV abrechnen können.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen der Regierungskommission sind nicht neu; es gibt bereits heute entsprechende Notfallpraxen mit einem gemeinsamen Tresen. Gut ist, dass die INZ jetzt verbindlich und flächendeckend implementiert werden sollen. Die Vorschläge der Regierungskommission weisen insgesamt große Parallelen zum Gutachten des Aqua-Instituts auf, das die Ersatzkassen 2016 in Auftrag gegeben haben. Die Patient:innen müssen im Mittelpunkt der Reform stehen. Sie müssen dort abgeholt werden, wo sie Hilfe suchen und erwarten. Daher müssen die Vorschläge der Regierungskommission nun rasch von der Politik umgesetzt werden.

Weitere Artikel aus ersatzkasse magazin. (2. Ausgabe 2023)