Interview mit Uwe Klemens, ehrenamtlicher Verbandsvorsitzender des vdek

„Die Sozialwahl ist eine Erfolgsgeschichte mit Zukunft“

Die Mitglieder der Ersatzkassen TK, BARMER, DAK-Gesundheit, KKH und hkk erhalten im April mit dem roten Briefumschlag die Unterlagen zur Sozialwahl. Bis zum 31. Mai 2023 können sie ihre Stimme per Brief oder erstmals bei einer großen Wahl sogar online abgeben. Im Interview erklärt der ehrenamtliche vdek-Verbandsvorsitzende Uwe Klemens die Sozialwahl und spricht über ihre Bedeutung.

Porträt Uwe Klemens, Verbandsvorsitzender des vdek

2023 ist Sozialwahljahr. Worum geht es bei der Sozialwahl und warum ist es wichtig, daran teilzunehmen?

Uwe Klemens: Bei der Sozialwahl werden die Sozialparlamente gewählt. Das Sozialparlament der Krankenkassen heißt Verwaltungsrat. In diesen Verwaltungsrat wählen die Mitglieder der Krankenkassen ihre ehrenamtlichen Vertreter:innen. Sie sorgen dafür, dass die Gesundheitsversorgung im Sinne der Versicherten ausgestaltet wird. Hintergrund der Sozialwahl ist das Prinzip, dass diejenigen, die Beiträge zahlen, darüber bestimmen sollen, was mit ihren Beiträgen geschieht. Damit ist die Sozialwahl ein wichtiger demokratischer Grundpfeiler unserer sozialen Sicherungssysteme. Mit der Beteiligung an der Sozialwahl wird das Prinzip der Selbstverwaltung gestärkt und legitimiert. Selbstverwaltung bedeutet, dass die Versicherten und ihre Arbeitgeber ihre Versicherungen selbst gestalten und nicht allein der Staat. Das Prinzip der Selbstverwaltung ist erfolgreich. Es hat sich in Wirtschaftskrisen, bei der Wiedervereinigung und zuletzt in der Corona-Pandemie bewährt. Die gesundheitliche Versorgung hat stets gut funktioniert. Und wir sorgen dafür, dass der medizinische Fortschritt schnell in die Versorgung kommt. Mein eindringlicher Appell ist deshalb: Wählen Sie und drücken Sie damit Ihre Zustimmung zu diesem erfolgreichen System aus. Geben Sie Ihre Stimme ab und nutzen Sie Ihre Möglichkeiten zur Mitgestaltung der Gesundheitsversorgung.

Wie kann ich mich über die Kandidat:innen bei der Sozialwahl informieren und für welche Ziele sie sich einsetzen?

Zunächst besteht Konsens zwischen allen Kandidat:innen, dass der Handlungsspielraum der gewählten Vertreter:innen nicht weiter vom Staat eingeschränkt werden darf. Der Staat ist schnell dabei, das ihm anvertraute Geld auszugeben. Daher ist es wichtig, dass die Versicherten und die Beitragszahler:innen in einer Krankenkasse mitentscheiden, denn die Krankenkasse gehört ihnen und nicht dem Staat. Die Kandidat:innen treten auf unterschiedlichen Listen an. Diese Listen können als unabhängige Liste institutionell neutral sein oder einen gewerkschaftlichen oder kirchlichen Hintergrund haben. Auf sozialwahl.de und der Seite Ihrer Krankenkasse können Sie sich über die Listen und ihre Ziele bei der Sozialwahl informieren. Auf soziale-selbstverwaltung.de finden Sie auch Portraits der ehrenamtlichen Selbstverwalter:innen. Sie können dort anhand einer Deutschlandkarte zudem entnehmen, welche Selbstverwalter:innen in Ihrer Region wohnen, und haben die Möglichkeit, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. In den nächsten Wochen wird die Sozialwahl darüber hinaus im Stadtbild, in Radiospots und den sozialen Medien sichtbar sein.

Was können die gewählten Vertreter:innen beziehungsweise die Verwaltungsräte als Sozialparlamente konkret bewirken?

Die Selbstverwalter:innen schenken ihren Mitgliedern Gehör und sind in den Gremien der Krankenkassen das Sprachrohr der Versicherten. Der Verwaltungsrat beschließt die Satzung, wählt und kontrolliert den Vorstand und verabschiedet den jährlichen Haushalt. Mit Bonusprogrammen und Satzungsleistungen kann er konkret an der Ausgestaltung von Leistungen mitwirken. Außerdem wählt ein Verwaltungsrat die Mitglieder der Widerspruchsausschüsse. In den Widerspruchsausschüssen werden Entscheidungen der Krankenkasse nochmals von den gewählten ehrenamtlichen Versichertenvertreter:innen geprüft und in vielen Fällen Verbesserungen für Versicherte erreicht. Über den Verwaltungsrat wirken die Selbstverwalter:innen zudem an der Gestaltung und Weiterentwicklung des Gesundheitswesens mit.

Gibt es weitere Bereiche, in denen die Sozialwahl stattfindet?

Die Sozialwahl als Urwahl (Wahl mit Wahlhandlung) findet bei den Ersatzkassen und der Deutschen Rentenversicherung Bund statt. Wer Mitglied einer Ersatzkasse und bei der Deutschen Rentenversicherung Bund versichert oder Rentner beziehungsweise Rentnerin ist, kann an zwei Sozialwahlen teilnehmen. Aus meiner Sicht ist die Urwahl, wie wir sie bei den Ersatzkassen haben, ein überaus demokratisches und partizipatives Recht. Aus der aktiven Wahlhandlung ergibt sich eine wichtige Legitimation für unsere selbstverwaltete Gesundheitsversorgung.

Ein Blick zurück: Woher kommt das Prinzip der Selbstverwaltung und die Idee zu einer Sozialwahl überhaupt?

Die Idee der Selbstverwaltung und dass Arbeiter oder Handwerker füreinander einstehen und sich im Bedarfsfall versorgen, gab es bereits im Mittelalter. Zu Beginn ging es vor allem um Krankengeld und um die Absicherung von Hinterbliebenen. Die Ersatzkassen haben sich als Selbsthilfevereine ab dem 18. Jahrhundert organisiert. Die Versicherten haben sich gegenseitig sozial abgesichert und das auch selbst organisiert. Institutionalisiert wurde das Prinzip der Selbstverwaltung mit der Einführung der Sozialversicherung unter dem damaligen Reichskanzler Otto von Bismarck im ausgehenden 19. Jahrhundert. Die Arbeitsverhältnisse zu der Zeit waren für die Arbeiter vielfach prekär bis menschenfeindlich. Um soziale Unruhen und Arbeiteraufstände zu vermeiden, war es notwendig, den Arbeitern Mitbestimmung in Form von Wahl- und Gestaltungsmöglichkeiten und zumindest eine grundlegende Absicherung gegen die Risiken von Unfall und Krankheit zu geben. Wie die Erfahrung lehrt, muss Mitbestimmung stets errungen und verteidigt werden. Die Geschichte der selbstverwalteten sozialen Sicherung ist eine offenkundige Erfolgsgeschichte, wenn man die damaligen und heutigen Arbeitsbedingungen und Absicherungen miteinander vergleicht. Diese Erfolgsgeschichte geht weiter. Auch dafür gebe ich in diesem Jahr meine Stimme bei der Sozialwahl 2023 ab.

Wird angesichts dieser langen Tradition von Selbstverwaltung und Sozialwahl auch eine Brücke in die Zukunft geschlagen?

Bei der Sozialwahl 2023 gibt es zwei spannende neue Entwicklungen, die die Partizipation erhöhen. Zum einen gibt es erstmals bei einer Wahl eine verbindliche Geschlechterquote von 40 Prozent. Dadurch werden der Anteil von Frauen in den Gremien der Krankenkassen erhöht und die Belange von Frauen besser vertreten. Zum anderen haben die 22 Millionen Mitglieder der Ersatzkassen erstmals die Möglichkeit, ihre Stimme online abzugeben. Eine Onlinewahl dieses Ausmaßes hat es bisher in Deutschland nicht gegeben. Die Sozialwahl verbindet also eine lange Tradition der Mitbestimmung mit moderner digitaler Technik.

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