Krankenhauslandschaft

Rollt eine Insolvenzwelle durch die Klinken?

In der deutschen Krankenhauslandschaft brodelt es: Schlagzeilen verkünden eine vermeintliche Insolvenzwelle, die die Kliniken zu überfluten droht. Die Krankenkassen hingegen warnen vor Panikmache. Was steckt dahinter?

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Bereits im Juli 2023 hat das Deutsche Krankenhausinstitut auf Basis einer Blitzumfrage gemeldet, dass sich 69 Prozent der Kliniken in ihrer Existenz kurz- und mittelfristig als gefährdet ansehen. Neuere Schätzungen halten etwa 70 bis 80 Insolvenzen in 2024 für möglich. Datenanalysen können diese Prognosen derzeit nicht bestätigen. Zwar nahm die Anzahl der Insolvenzen in den letzten Jahren zu, allerdings nicht in dem Umfang, wie sie in den Medien und von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) dargestellt werden.

Derzeit gibt es 1.648 Krankenhäuser beziehungsweise 2.478 Krankenhausstandorte. Seit Juli 2022 sind dem vdek 43 Insolvenzen von Krankenhäusern bekannt; davon 10 seit Januar 2024. Bei einem Vergleich des 2. Halbjahres 2022 mit dem 2. Halbjahr 2023 hat sich die Anzahl der Insolvenzverfahren mehr als verdoppelt. Bei den Verfahren handelt es sich vorwiegend um Insolvenzen, die in Eigenverwaltung (67 Prozent) oder Eigenverwaltung mit Schutzschirmverfahren (12 Prozent) durchgeführt werden. Anders als bei der Regelinsolvenz werden die Geschäfte eines Unternehmens nicht von einem Insolvenzverwalter, sondern vom Schuldner selbst, das heißt der Klinikleitung (unter Aufsicht des Sachwalters) geführt, um das unternehmerische Know-how der Geschäftsführung für die Sanierung zu nutzen. Das Insolvenzverfahren dient dazu, die Gläubiger zu bedienen, sodass in der Regel auch der Erhalt des Unternehmens im Fokus steht. Dies zeigt sich auch in den beendeten Verfahren, wonach Klinikschließungen nicht den Regelfall darstellen. Von den 43 Verfahren sind bisher 19 beendet, wobei 7 Kliniken mit je einem Standort geschlossen wurden. In diesen Fällen kann meist eine Perspektive für die Versorgung gefunden werden. So können zum Beispiel Kliniken in Medizinische Versorgungszentren (MVZ) umgewandelt, nur einzelne Fachabteilungen geschlossen oder verbleibende Standorte ausgebaut werden.

In 5 Fällen konnte die Klinik durch Sanierungskonzepte oder zusätzliche Finanzmittel gerettet werden. In 7 Fällen kam es zu einer Übernahme durch neue Träger.

Die Gründe für die zunehmende Anzahl von Insolvenzen sind vielfältig. Neben der finanziellen Situation spielen der Fachkräftemangel und ein Überangebot an stationären Kapazitäten beziehungsweise der zu beobachtende Fallzahlrückgang seit der Pandemie eine große Rolle. Ein weiterer Grund für den Anstieg dürfte der Umstand sein, dass die Verpflichtung zur Stellung eines Insolvenzantrags für überschuldete Unternehmen pandemiebedingt bis Ende 2020 ausgesetzt war. Es ist davon auszugehen, dass einige Kliniken bereits vorher in eine wirtschaftliche Schieflage geraten sind und die Insolvenz nur aufgeschoben wurde.

Bei der Anzahl der Insolvenzen sind maßgeblich auch regionale Unterschiede zu beobachten. Die meisten Insolvenzen gab es in den alten Bundesländern (Nordrhein-Westfalen: 11, Bayern: 7, Rheinland-Pfalz: 6). Hier zeigt sich die Folge einer jahrzehntelang ausgebliebenen Strukturreform. Bei einer detaillierteren Betrachtung wird deutlich, dass mit knapp 40 Prozent vor allem städtische Regionen betroffen sind. Hierbei handelt es sich um dichtbesiedelte Regionen mit hoher Krankenhausdichte, in der auch ein starker Wettbewerb um Patient:innen und Personal vorherrscht. Anders verhält es sich in den neuen Bundesländern. Hier sind kaum Insolvenzen zu verzeichnen. Dies dürfte damit zusammenhängen, dass nach der Wiedervereinigung eine Strukturbereinigung mit finanziellen Mitteln nach Art. 14 des Gesundheitsstrukturgesetzes stattgefunden hat. Dieser Umstand zeigt, dass die finanzielle Gesundheit von Kliniken auch von den richtigen Strukturen abhängt.

Auch die Trägerschaft ist von Relevanz. Auffällig ist, dass vor allem freigemeinnützige Krankenhäuser mit einem Anteil von 70 Prozent überproportional von Insolvenzen betroffen sind. Freigemeinnützige Kliniken konnten in der Vergangenheit nur überschaubare Überschüsse erwirtschaften. Zudem ist es für die Träger freigemeinnütziger Einrichtungen schwieriger, große Defizite auszugleichen. Anders sieht es bei privaten und öffentlichen Trägern aus. Private Krankenhäuser haben in den vergangenen Jahren im Schnitt Gewinne erwirtschaftet. Verluste öffentlicher Krankenhäuser werden in der Regel durch die Kommunen ausgeglichen.

Gemessen an der freien Wirtschaft sind Krankenhausinsolvenzen eher selten. Aufgrund des Fachkräftemangels stellen Insolvenzen derzeit kein Problem auf dem Arbeitsmarkt dar. Begrüßenswert wäre es, wenn das freigesetzte Personal in den jeweiligen Regionen dort eingesetzt werden könnte, wo es am meisten gebraucht wird. Leider zeigt die Erfahrung, dass dies bei Klinikschließungen nicht passiert, da jede:r Betroffene die Suche nach einem geeigneten Arbeitsplatz selbst in die Hand nimmt. Ein geplanter Strukturwandel kann sowohl zum Wohl des Personals als auch zu einer Verbesserung der Versorgung beitragen.

Insolvenzen folgen einer Marktbereinigung. Sie haben nichts mit der Versorgungsnotwendigkeit eines Krankenhausstandortes zu tun. Unabhängig davon ist eine Strukturbereinigung der Krankenhauslandschaft vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und den knappen Personalressourcen zwingend erforderlich. Da Wirtschaftlichkeit und Bedarfsnotwendigkeit nicht zwingend deckungsgleich sind, ist es umso wichtiger, dass eine Strukturbereinigung unter Versorgungsaspekten und nicht unter monetären Gesichtspunkten erfolgt. Empirische Erfahrungen zeigen, dass effiziente Strukturen, die sich an dem Versorgungsbedarf und dem verfügbaren Fachpersonal ausrichten, zur finanziellen Stabilität der Kliniken beitragen. Eine finanzielle Förderung der Kliniken nach dem Gießkannen- Prinzip verschärft hingegen die derzeit bestehenden Fehlstrukturen. Die Gefahr, dass die falschen Krankenhäuser aus dem Markt gedrängt werden, wird dadurch verstärkt.

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