Im Rahmen seiner Stabilitätsoffensive für Gesundheit und Pflege fordert der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) neben Sofortmaßnahmen für Finanzen auch ein Maßnahmenpaket, das die Gesundheitsversorgung spürbar verbessert. Erstens braucht es einen passenderen Zugang zur Versorgung und bessere Orientierung für die Versicherten. Zweitens sind faire Arzneimittelpreise zur Eindämmung der Kostenexplosion bei Arzneimitteln notwendig. Und drittens muss bei der Umsetzung der Krankenhausreform ein verstärktes Augenmerk auf der Versorgungsqualität liegen.
Die Ausgaben im ambulanten ärztlichen Bereich steigen stetig. 2025 werden sie insgesamt weit mehr als 50 Milliarden Euro betragen. Die vergangenen Jahre hätten indes gezeigt, dass höhere Ausgaben eben nicht automatisch eine bessere Versorgung bedeuten, betonte die vdek-Vorstandsvorsitzende Ulrike Elsner am 29. Januar 2025 auf der Neujahrs-Pressekonferenz des vdek. Viele Versicherte hätten stattdessen das Gefühl, dass sich insbesondere der Zugang zur Versorgung verschlechtert hat. Dies zeige sich deutlich in der Diskussion um lange Wartezeiten bei Arztterminen und den Versorgungsengpässen in ländlichen Regionen. „Die Patientinnen und Patienten brauchen klare Anlaufstellen, an die sie sich bei einem medizinischen Problem wenden können“, forderte Elsner.
Der vdek will den Zugang zur Versorgung verbessern und erreichen, dass die Wartezeiten auf notwendige Behandlungen akzeptabel werden. In erster Linie geht es darum, den Versicherten mehr Orientierung dabei zu geben, welche Behandlung sie tatsächlich benötigen. „Wir brauchen leicht zugängliche Ersteinschätzungsangebote“, sagte die vdek-Vorstandsvorsitzende und erläuterte dies anhand eines Beispiels: Denkbar sei es, dass Versicherte sich für ein Versorgungsmodell entscheiden, bei dem sie immer dann klar definierte Anlaufstellen aufsuchen, wenn sie ein medizinisches Problem haben. Das könne beispielsweise mit einer obligatorischen telefonischen Ersteinschätzung durch Hausarzt- und Facharztpraxen sowie Telemedizin gelingen. Zudem müssten die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und die Ärzteschaft ein gemeinsames Online-Terminportal zur schnelleren Terminvergabe aufbauen. „Bei der Entwicklung solcher Modelle wollen wir uns als Ersatzkassen mit der Ärzteschaft zusammentun, damit am Ende auch praktikable Lösungen entstehen. Vom Gesetzgeber erwarten wir allein den gesetzlichen Rahmen, um hier als gemeinsame Selbstverwaltung flexible Versorgungsangebote zu entwickeln“, erläuterte Elsner.
Rettungsstellen zu Gesundheitsleitstellen ausbauen
Mehr Steuerung und Orientierung brauchen die Versicherten aus Sicht des vdek auch dringend in der Notfallversorgung. Die längst konsentierte Reform müsse rasch umgesetzt werden, forderte Elsner. Gleichzeitig müssten die Strukturen des Rettungsdienstes reformiert werden. Zahlen zeigen, dass sich beim Rettungsdienst die Kosten für die verschiedenen Rettungsmittel von 2013 bis 2023 mit auf 6,8 Milliarden Euro mehr als verdoppelt haben (sieh Abb. 1). Und in den ersten drei Quartalen 2024 sind die Kosten für Einsätze von Rettungswagen erneut um mehr als zehn Prozent gestiegen. „Wir haben zu viele Leitstellen, die zu wenig dürfen. Stattdessen sollten wir sie als größere Einheiten konzentrieren – das hat das Land Berlin bereits vorgemacht mit einer zentralen Leitstelle, die die Rettungsmittel dann koordiniert“, sagte Elsner und ergänzte: „Was fehlt, ist der Ausbau zu einer Gesundheitsleitstelle nach österreichischem Vorbild, also einer Gesundheitsleitstelle, die nicht nur Rettungswagen rausschickt, sondern die Versicherten zu ambulanten, akut psychischen oder pflegerischen Versorgungsund Unterstützungsangeboten leiten kann.“ Eine stärkere Konzentration der Rettungsleitstellen und deren Ausbau zu Gesundheitsleitstellen sei somit auch in Deutschland unerlässlich.
Stabilisierung der Arzneimittelausgaben
Einen großen Teil der Ausgabensteigerungen im Gesundheitswesen bilden die explodierenden Arzneimittelausgaben, die 2025 geschätzt 58 Milliarden Euro betragen werden siehe Abb. 2).
„Zehn Prozent der abgegebenen Arzneimittel verursachen derzeit 50 Prozent der Ausgaben“, so Elsner. Als maßgeblichen Grund für diese Entwicklung führte sie an, dass neue Arzneimittel mit immer höheren Einstiegspreisen auf den Markt kämen. Einen besonderen Einfluss hätten die sogenannten Orphan Drugs, also Arzneimittel für seltene Erkrankungen, für die bei den neu eingeführten Präparaten Jahrestherapiekosten von im Durchschnitt mehr als 500.000 Euro entstehen. Arzneimittel gegen seltene Krankheiten würden nur vereinzelt verordnet, aber der Effekt auf die Ausgaben sei enorm und mache mittlerweile mit Ausgaben von mehr als sieben Milliarden Euro schon einen Anteil von 13,5 Prozent aus. Und es würden zunehmend neue Behandlungsoptionen wie die Gentherapien auf den Markt drängen, die früher noch im Bereich der Utopie zu verorten waren. Hier geht es um hochspezialisierte Therapien mit Kosten im Millionenbereich. „Wir stehen damit ganz neuen Herausforderungen gegenüber, für die endlich Lösungen erarbeitet werden müssen, auch wenn wir die Auswirkungen erst nach und nach spüren werden“, so Elsner. Bisherige gesetzgeberische Initiativen hätten es nicht vermocht, der Entwicklung nachhaltig etwas entgegenzusetzen, obwohl die Arzneimittelpolitik regelmäßig auf der Agenda der Akteurinnen und Akteure steht. Benötigt würden also dringend Maßnahmen, die eine Stabilisierung der Ausgaben erreichen.
Um die Kostenexplosion bei den Arzneimittelpreisen zu stoppen, setzt sich der vdek vor allem dafür ein, die Preise für neue patentgeschützte Arzneimittel anzupassen. Zehn Prozent der abgegebenen Arzneimittel verursachten derzeit 50 Prozent der Ausgaben. Benötigt werden daher aus vdek-Sicht Instrumente für faire Arzneimittelpreise, beispielsweise nach dem Fair-Pricing-Modell. Maßstab für die Preisgestaltung sind hierbei Kriterien wie die Kosten für Forschung und Entwicklung. Nach Berechnungen der Universität Bremen liegen die Preise aktuell doppelt bis 13-mal so hoch wie der Preis nach diesem Preisfindungsmodell. Daneben fordert der vdek eine Nutzenbewertung ohne Ausnahmen auch für Orphan Drugs, Erstattungsbeträge im Rahmen des AMNOG bereits bei Markteintritt, höhere Herstellerabschläge und den Ausbau von Versorgungsverträgen (statt Einschränkungen bei Rabattverträgen).
Krankenhausreform: Expertise der sozialen Selbstverwaltung gefragt
Größter Ausgabenblock in der Versorgung ist der Krankenhausbereich, der 2025 geschätzt bei 107 Milliarden Euro liegt. Das sind fast sieben Prozent mehr als im Vorjahr (siehe Abb. 3).
Ab 2026 sollen die Krankenkassen auch noch über den Transformationsfonds den Umbau der Krankenhauslandschaft mitfinanzieren – mit jährlich 2,5 Milliarden Euro über zehn Jahre hinweg. „Damit die Krankenhausreform in die richtigen Bahnen gelenkt wird, kommt es jetzt darauf an, dass die im Bundesrat zustimmungspflichtigen Rechtsverordnungen mit Substanz gefüllt werden“, sagte Elsner. Hiervon werde abhängen, ob die Reform nicht nur eine reine Finanzierungs-, sondern auch eine Strukturreform für eine bessere Versorgung werde. Es sei zwischenzeitlich allgemeiner Erkenntnisstand, dass bei komplexen Erkrankungen die Versorgung in Spezialzentren zu besseren Behandlungsergebnissen führt. Elsner forderte Bund und Länder daher auf, die Versorgungsqualität in den Mittelpunkt zu stellen – anstelle von Besitzstandswahrung. Die gemeinsame Selbstverwaltung solle nach dem Vorbild Nordrhein-Westfalens aktiv in den Planungsprozess für bedarfsgerechte Strukturen eingebunden werden. Das gelte auch für den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) bei der Festsetzung von Qualitätsanforderungen. Es bedürfe zudem eines klaren Bekenntnisses der Politik, die Kosten des Transformationsfonds aus Steuermitteln zu finanzieren. Für diesen Prozess der Umgestaltung braucht es laut Elsner die Expertise der Selbstverwaltungspartnerinnen und -partner vor Ort – also der Krankenkassen – und Krankenhausvertreterinnen und -vertreter. Für die Patientinnen und Patienten gehe es letztlich auch um mehr Zufriedenheit in der Versorgung.
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