Gesundheitspolitik

Neue Regierung unter völlig anderen Vorzeichen

Seit der Bundestagswahl hat sich nicht nur die politische Landschaft in Deutschland stark verändert, das gesamte internationale Koordinatensystem scheint aus den Fugen geraten. Was bedeutet diese Entwicklung für die kommende Legislaturperiode und welche Rolle wird die Gesundheitspolitik noch spielen?

Illustration: Probleme und Herausforderungen – Figur steht auf Fragezeichen

Die Ampel ist Geschichte. Die beteiligten Koalitionspartner wurden allesamt abgestraft. Die SPD erzielte ihr historisch schlechtestes Ergebnis bei Bundestagswahlen, die FDP zahlte den höchsten Preis und muss erneut in die außerparlamentarische Opposition. Auch die Grünen können mit ihrem Ergebnis nicht zufrieden sein. Das gilt allerdings auch für die Union. Sie konnte aus der Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Ampelregierung kaum Kapital schlagen und blieb unter ihren Erwartungen. Die Erleichterung, dass durch das Scheitern von BSW und FDP eine Regierungsmehrheit ohne die Grünen möglich wird, dürfte dennoch groß gewesen sein.

Politische Landkarte zeigt Teilung in Ost und West

Die großen Schlagzeilen schrieben andere. Die AfD erzielte ihr bisher bestes Ergebnis und ist in Ostdeutschland die maßgebende politische Kraft. Mit Ausnahme von Potsdam, Erfurt und Leipzig II gewann sie dort alle Wahlkreise, erzielte aber auch in einigen alten Bundesländern Ergebnisse von etwa 20 Prozent. Im Westen der Republik errangen CDU und CSU die überwiegende Zahl der Wahlkreise. Der SPD gelang dies nur noch in 45 Wahlkreisen. Die Linke schaffte überraschend souverän den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. Dazu holte sie satte sechs Wahlkreise direkt (davon vier in Berlin). Sarah Wagenknechts Bündnis scheiterte dagegen sehr knapp an dieser Schwelle.

Die politische Teilung Deutschlands besteht seit dieser Wahl jedoch nicht nur nach Himmelsrichtung, sondern auch nach Alter. Bei den Unter-25-Jährigen erreichten AfD und Linke zusammen 46 Prozent der Stimmen.

Das Gesundheitswesen braucht eine Politikwende

Grundsätzlich wurde (erneut) der Beweis erbracht, dass die Wähler:innen keinen Dauerstreit von Verantwortlichen goutieren. Das Gesundheitswesen verträgt ihn auch nicht mehr. Ständiger Zwist zwischen Gesundheits- und Finanzministerium, Minister und Parlament oder Bund und Ländern führte zu Blockaden, Verzögerungen und schlechten Kompromissen.

Können wir von der kommenden Regierung Besseres erwarten? Im Wahlkampf spielte Gesundheitspolitik praktisch keine Rolle. Die Wahlprogramme von Union und SPD blieben sehr unspezifisch. Sicherlich auch deshalb, weil es vielfach nicht an Erkenntnissen, sondern an der Umsetzung hapert. Ob sich dies nun ändert, ist mit Blick auf die Zwischenergebnisse der Koalitionsverhandlungen fraglich. Trotz der vielen Reformbaustellen und der dynamischen Beitragsentwicklung bei Kranken- und Pflegekassen lieferte die zuständige Arbeitsgruppe kein stimmiges Konzept mit Strukturreformen für die zukünftige Gesundheitsversorgung. Stattdessen einigten sich die Verhandler:innen neben Altbekanntem wie einer (dringend nötigen) Reform der Notfallversorgung vorwiegend auf ein Sammelsurium aus Geschenken für einzelne Interessengruppen. Den Willen zu sparen oder gar konkrete Maßnahmen sucht man vergeblich. Vielmehr werden freimütig Steuerzuschüsse in einem Umfang einkalkuliert, der schon in konjunkturell guten Zeiten unrealistisch wäre.

Finanzielle Sonderregelungen ersetzen keine Strukturreform

Die Koalitionsverhandlungen stehen unter dem Handlungsdruck der dynamischen außenpolitischen Lage. Eine schnelle Einigung noch vor Ostern soll gelingen, was die dürftigen Zwischenergebnisse ein Stück weit erklären kann. Bei dieser Ausgangslage sollten die Verhandler:innen keine uneinlösbaren Versprechen tätigen, sondern sich über entscheidende Reformvorhaben verständigen. Details können später von den Fachpolitiker:innen und vor allem von der Ministerin beziehungsweise dem Minister erarbeitet werden.

Finanziell haben sich die Partner:innen in spe mit der weitgehenden Herausnahme der Verteidigungsausgaben aus der Schuldenbremse und einem milliardenschweren Infrastruktur-Sondervermögen – ein euphemistischer Begriff für Sonderschulden gigantischen Ausmaßes – Spielräume verschafft. Kaum vorstellbar, dass ein solcher Schritt ohne die internationalen Entwicklungen möglich gewesen wäre. So dramatisch die Lage ist, sie bietet also auch Chancen. Dennoch gilt: Geld kann die Umsetzung von Reformen erleichtern, ersetzen kann es sie nicht. Ein weiteres Verschieben überfälliger Strukturreformen darf es deshalb nicht geben.

Das Gesundheitswesen muss auch in schwierigen Zeiten stabil bleiben

Im politischen Berlin geht derzeit das Narrativ um, dass diese Legislaturperiode die letzte Chance bietet, ein weiteres Erstarken extremistischer und populistischer Parteien zu verhindern. Vom Zauber des Anfangs, wie er die Ampel-Koalitionäre zu Beginn noch umwehte, ist bei Schwarz und Rot entsprechend nichts zu spüren. Allen Beteiligten scheint klar, dass diese Koalition eine Vernunftehe wird. Gut so, zu ernst ist die Lage! Die nächsten Jahre werden Deutschland finanziell und kulturell an den Rand seiner Belastbarkeit bringen und lieb gewonnene Bequemlichkeiten infrage stellen. Gerade auch im Gesundheitswesen kann eine solche kalte Dusche durchaus helfen.

Wichtig ist, dass in Zeiten des Umbruchs die soziale Sicherheit als stabiles Fundament des gesellschaftlichen Zusammenhalts erhalten bleibt. Sie war laut Befragungen das zweitwichtigste Thema für die Wahlentscheidung. Stabilität wird es in Zeiten des demografischen Wandels aber nur geben, wenn auch auf die finanzielle Tragfähigkeit der Versicherten und Arbeitgeber geachtet wird. Steigen die Beiträge weiter so wie zuletzt, wird das auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland eine erhebliche Bürde. Der jetzt bestehende Handlungsdruck muss daher in strukturelle Reformen kanalisiert werden. Ob die neue Regierung dafür die Kraft aufbringt, bleibt abzuwarten.

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