Stellungnahme zum Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG)

Referentenentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln
Apothekerin am Medikamentenregal

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Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf soll Versorgungsengpässen von Arzneimitteln entgegengewirkt werden. Mit dem Entwurf werden unterschiedliche Maßnahmenpakete geschnürt, die die Versorgungssituation der Patientinnen und Patienten mit patentfreien Arzneimitteln verbessern sollen. Hierbei steht die Versorgung mit Onkologika und mit Antibiotika im Fokus. Ein weiterer Schwerpunkt der Maßnahmen liegt in der Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln.

Ausweitung der Bevorratungspflichten und Einführung eines Frühwarnsystems

Der vdek begrüßt die im Entwurf vorgesehenen Verpflichtungen zu einer erweiterten Lagerhaltung, sowohl von Rabattvertragsarzneimitteln als auch von weiteren Arzneimitteln zur Behandlung in Krankenhäusern. Um eine Gefährdung der Arzneimittelversorgung in Krankenhäusern bei vorübergehenden Lieferengpässen oder Mehrbedarfen entgegenzuwirken, wird die bisher geltende Bevorratungspflicht von vier Wochen sowohl für Antibiotika und auch für Medikamente, die in der Intensivmedizin zum Einsatz kommen, auf acht Wochen erhöht. Der vdek bewertet positiv, dass mehr Transparenz in der Versorgungskette geschaffen werden soll. Die vorgesehene Ausweitung der Auskunftspflichten wird als ein Schritt in die richtige Richtung gewertet, der ein lange bestehendes Informationsdefizit über mögliche Lieferkettenprobleme beheben könnte. Allerdings erscheint es geboten, nicht nur eine Pflicht zur Auskunft auf Nachfrage einzuführen, sondern – analog zu dem bereits bestehenden § 52b Abs. 3a gegenüber Krankenhäusern – eine Meldepflicht gegenüber dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einzuführen. Bisher erfolgt diese vom pharmazeutischen Unternehmen initiierte Meldung auf freiwilliger Basis.

Der Beirat beim BfArM erhält in diesem Zusammenhang umfangreiche neue Kompetenzen. Die Einführung eines Frühwarnsystems wird begrüßt. Allerdings erachtet der vdek die Legitimation des Beirats in der aktuellen Besetzung für unpassend, weil Beschlüsse mit einfacher Mehrheit getroffen werden und die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) nur mit einer Stimme vertreten ist. Hier plädiert der vdek für eine geänderte Besetzung, bei der ein Gleichgewicht der Interessen gewahrt werden kann.

Modifikationen am Festbetragssystem

Vorgesehen sind Regelungen, die die Möglichkeiten der Preisgestaltung für bestimmte Generika verbessern sollen. So soll der GKV-Spitzenverband (GKV-SV) Festbetragsarzneimittel künftig schon dann von der Zuzahlung freistellen können, wenn der Abgabepreis 20 Prozent unter dem Festbetrag liegt – derzeit sind es 30 Prozent. Darüber hinaus wird der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) verpflichtet, zukünftig bei der Festbetragsgruppenbildung bestimmte altersgerechte Darreichungsformen für Kinder unberücksichtigt zu lassen. Die Preise für diese Arzneimittel dürfen dann bis zu 50 Prozent über dem fiktiven Festbetrag liegen.

Bei versorgungsrelevanten Kinderarzneimitteln sollen die Festbeträge gänzlich aufgehoben werden. Das BfArM erstellt eine Liste von Arzneimitteln, die für die Behandlung von Kindern bis zu Vollendung des zwölften Lebensjahres notwendig sind. Die pharmazeutischen Unternehmen können die Preise um 50 Prozent vom zuletzt geltenden Festbetrag anheben. Aus Sicht des vdek ist kritisch anzumerken, dass bei der Erstellung der Liste durch das BfArM die Zuordnung angesichts der nicht eindeutigen Trennung zwischen Kinder- und Erwachsenenarzneimitteln problematisch ist. Daher ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass in Zukunft auch für einige Arzneimittel zur Behandlung von Erwachsenen keine Festbeträge mehr gelten könnten, was nicht der Absicht des Gesetzes entspricht.

Darüber hinaus ist vorgesehen, dass das BfArM die Ausweitung der Regelung auf weitere Arzneimittel empfehlen kann. Die finale Entscheidung über die Aufhebung des Festbetrages obliegt dabei dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und nicht dem GKV-SV im üblichen Verfahren. Dies schwächt die Selbstverwaltung der gesetzlichen Krankenkassen und höhlt unbegründet die bisherigen Legitimationen des GKV-SV aus. Daher sind diese Regelungen abzulehnen.

Insgesamt ist aus Sicht des vdek kritisch anzumerken, dass zusätzliche finanzielle Anreize und die Anhebung der Preisgrenze keinerlei Gewähr bieten, dass tatsächlich mehr Arzneimittel zur Verfügung stehen und eine verbesserte Liefersicherheit gegeben ist. Den finanziellen Anreizen für die pharmazeutischen Unternehmen stehen keinerlei explizite Gegenleistungen in Form verbindlicher Liefermengen gegenüber, auf die sich die Krankenkassen und ihre Versicherten verlassen könnten. Von daher hält es der vdek für äußerst fraglich, ob mit den vorgesehenen Maßnahmen das intendierte Ziel, einer Marktverengung entgegenzuwirken bzw. diese zu verhindern, erreicht wird.

Das Festbetragssystem ist ein bewährtes Instrument der Preisregulierung im Interesse der Beitragszahlenden in der GKV. Es hat seit seinem Bestehen dazu beigetragen, eine sinnvolle Balance zwischen einem umfassenden Versorgungsanspruch der Patientinnen und Patienten und den ökonomischen Interessen der pharmazeutischen Unternehmen herzustellen. Veränderungen und Ausnahmen sollten deshalb nur vorgenommen werden, wenn eine Verbesserung eines Versorgungsproblems valide antizipiert werden kann.

Modifikation von Rabattverträgen

Zur Sicherstellung der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit onkologischen Erkrankungen und zur Behandlung mit Antibiotika ist zur Vermeidung von Lieferengpässen oder Lieferausfällen für die Zukunft eine Diversifizierung der Lieferketten für die Wirkstoffe dieser Arzneimittel vorgesehen. Rabattverträge für diese Arzneimittel sollen auch mit Herstellern vereinbart werden, die die Wirkstoffe oder Bulkware für diese Arzneimittel ganz oder zu einem überwiegenden Anteil in der Europäischen Union (EU) oder einem Vertragsstaat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft herstellen. Mindestens die Hälfte der Fachlose müssen so ausgeschrieben werden. Der vdek weist darauf hin, dass die Modifikationen an den Ausschreibungsmodalitäten für Onkologika und Antibiotika in Konflikt mit den gesetzlichen europaweit geltenden Bestimmungen zur Vergabe stoßen könnten und es ist nicht auszuschließen, dass damit für die betreffenden Arzneimittelgruppen keine Rabattverträge geschlossen werden können und damit Rabatteinnahmen entfallen. Kritisch ist außerdem, dass bei dem konkret in der Apotheke abgegebenen Arzneimittel nicht erkennbar und damit nicht sichergestellt ist, ob die Ausgangsstoffe in der EU produziert worden sind. Fraglich ist, ob das Auskunftsrecht beim BfArM zu tatsächlichen Bezugsquellen, das den Krankenkassen zugestanden wird, geeignet ist, die Umsetzung sicherzustellen. Darüber hinaus ist fraglich, wie sichergestellt ist, dass diese Arzneimittel in der Apotheke auch tatsächlich bevorzugt abgegeben werden und damit der gewünschte Effekt, die Produktion in die EU zurückzuholen, erreicht wird.

Veränderung der Austauschmöglichkeiten für Apothekerinnen und Apotheker

Der Entwurf sieht darüber hinaus für Apothekerinnen und Apotheker vereinfachte Austauschmöglichkeiten für wirkstoffgleiche Arzneimittel mit einer kritischen Versorgungslage vor. Für das Management von Lieferengpässen erhalten Apothekerinnen und Apotheker einen Zuschlag in Höhe von 50 Cent (netto) pro ausgetauschtem Arzneimittel. Aus Sicht des vdek ist nicht nachvollziehbar, das als Kriterium „das Vorrätigsein” in der Apotheke ausschlaggebend sein soll. Für ein solches Kriterium fehlt jegliche Überprüfbarkeit und es setzt Fehlanreize für die Apotheke, ein möglichst kleines Warenlager zu haben, um davon zu profitieren. Langfristig wirkt sich diese Regelung negativ auf Rabattverträge aus, weil durch die eingeschränkte Substitutionsverpflichtung der Apotheke der Anreiz für pharmazeutische Unternehmen sinkt, Rabattverträge zu schließen. Der vdek schlägt vor, als Kriterium eine bestehende Lieferunfähigkeit beim Großhandel zu verwenden, wie es bereits heute im Rahmenvertrag nach § 129 SGB V für die Ab weichung von der Abgaberangfolge verankert ist. Außerdem muss bei der Formulierung beachtet werden, dass die Apotheke nach den Regeln des § 129 SGB V und Rahmenvertrages nicht immer das verordnete Arzneimittel abgibt, sondern zugunsten von Rabattvertragsarzneimitteln oder preisgünstigen Arzneimitteln substituiert. Insofern schlägt der vdek vor, die Voraussetzungen zur Berechnung des neuen Zuschlages von 0,50 Euro darauf zu beschränken, dass der Austausch eines „abzugebenden” (nicht verordneten) Arzneimittels erfolgt.

Gänzlich abgelehnt wird vom vdek der im Entwurf vorgesehene Ausschluss von Beanstandungen und Retaxationen, weil damit die Überprüfbarkeit aller vertraglichen Regelungen entfällt.

Insgesamt entstehen mit den vorgesehenen Neuregelungen der GKV jährliche nicht abschließend quantifizierbare Mehrkosten, die mindestens im hohen dreistelligen Millionenbereich liegen. Wie dargelegt, ist bei einigen Regelungen, die erhebliche Mehrkosten verursachen, fraglich, ob diese tatsächlich das in tendierte Ziel der Lieferengpassbeseitigung erreichen. Sofern den im Entwurf vielfach vorgesehenen höheren finanziellen Anreizen für die Arzneimittelhersteller keinerlei Verpflichtungen gegenüberstehen, sind diese Regelungen allein von dem Prinzip „Hoffnung“ geleitet. Das erscheint insbesondere auch vor dem Hintergrund der angespannten finanziellen Lage der GKV und der für das Jahr 2024 erneut zu erwartenden großen Finanzierungslücke, zu wenig zu sein.

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