2. Stellungnahme zum Gesundes-Herz-Gesetz (GHG)

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Der am 28. August 2024 vorgelegte Kabinettsentwurf zum Gesetz zur Stärkung der Herzgesundheit (Gesundes-Herz-Gesetz – GHG) sieht eine Reihe von Maßnahmen vor, die darauf abzielen, die Früherkennung von kardiovaskulären Erkrankungen zu verbessern und gefährdeten Personen Angebote für eine frühzeitige Behandlung zu eröffnen. So werden flächendeckende Screenings für Kinder auf Hypercholesterinämie vorgeschrieben sowie Screenings und Check-Ups auf gesunde, aber gefährdete Erwachsene ausgeweitet, die Medikation mit Statinen ausgebaut und zusätzliche Arzneimittel zur Tabakentwöhnung bereitgestellt.
Grundsätzlich ist die Stärkung der Herzgesundheit richtig und wichtig. Die Ausgestaltung des Gesetzes konterkariert jedoch dieses Ziel. Mit Pillen und Check-Ups statt Maßnahmen zur Primär- und Verhältnisprävention verfehlt es die eigentliche Intention, die individuelle Gesundheitskompetenz zu verbessern und gesundheitsfördernde Verhaltensweisen zu fördern. Die starke Fokussierung auf die Behandlung mittels medikamentöser Intervention und flächendeckenden Screenings und Check-Ups ist nicht zeitgemäß. Sie ist ineffizient, weil nicht zielgenau, belastet die bereits jetzt strapazierten Kapazitäten der Ärztinnen und Ärzte und zweckentfremdet darüber hinaus Präventionsmittel der Krankenkassen für die Arzneimittelversorgung. Der vdek sieht die vorgeschlagenen Maßnahmen deshalb als falschen Weg an und lehnt zentrale Teile des Gesetzentwurfes ab.
Den gesetzlichen Krankenkassen stehen für 2024 rund 186 Millionen Euro für Präventionsleistungen zur Verfügung. Damit bietet die GKV ihren Versicherten einen niedrigschwelligen Zugang zu ca. 110.000 evidenzbasierten Präventionskursen an. Davon entfallen 59.000 auf Bewegungskurse und nahezu 46.000 auf Kurse zum Stress- und Ressourcenmanagement. Die Qualität und Wirksamkeit jedes einzelnen Kurses wurde bundesweit einheitlich durch eine eigene Institution der GKV (Zentrale Prüfstelle Prävention) geprüft. Die Einrichtung ist bundesweit fachlich anerkannt und etabliert. Auf Wunsch des Gesetzgebers wurden die Präventionsaktivitäten seit 2015 deutlich ausgebaut und professionalisiert.
Künftig sollen die o.g. Präventionsmittel für zusätzliche Arzneimittel zur Tabakentwöhnung und Präventionsberatung durch Ärzte herangezogen werden. Die aktuell bestehenden gesetzlichen Regelungen, nach denen eine Tabakentwöhnung mit Arzneimitteln bei schwerer Abhängigkeit frühestens alle drei Jahre möglich ist, sollen ausgeweitet werden. Aus Sicht der Ersatzkassen ist dies bedenklich, da für die derzeitige Regelung noch keine wissenschaftliche Evidenz zum Nutzen vorliegt. Zudem werden die Richtlinien zur medikamentösen Tabakentwöhnung derzeit durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) erarbeitet, so dass über resultierende Effekte noch keine Bewertung erfolgen kann. Auch sind die vom BMG angesetzten Mehrausgaben bei Weitem unterkalkuliert. Nach GKV-Berechnungen sind bereits mindestens 200 Millionen Euro an Mehrausgaben zu erwarten, wenn nur zehn Prozent der zum Aufhören motivierten Rauchenden Arzneimittel zur Tabakentwöhnung in Anspruch nehmen. Dies würde das Aus der evidenzbasierten Präventionskurse in der GKV bedeuten. Dass im Zuge des Gesetzentwurfs etablierte Strukturen und Kooperationen zur Unterstützung eines gesunden Lebensstils zerstört werden, ist aus Sicht des vdek nicht nachvollziehbar und strikt abzulehnen.
Neben den Maßnahmen zur Tabakentwöhnung besteht auch zum Nutzen der geplanten flächendeckenden Screenings zur Früherkennung von Hypercholesterinämie bei Kindern oder auch die Ausweitung der Screenings und Check-Ups für Erwachsene keine hinreichende wissenschaftliche Evidenz. Sie bergen jedoch ein beträchtliches Risiko der Über- und Fehlversorgung inkl. einer finanziellen Mehrbelastung. Daher lehnt der vdek die geplanten Maßnahmen ab. Auch die knappen personellen Ressourcen in den Arztpraxen werden mit dem Ansinnen belastet. Flächendeckende Screenings haben zur Folge, dass gesunde Menschen die Arztpraxen aufsuchen (müssen) und somit die bereits jetzt knappen Arzttermine für wirklich kranke Personen blockieren. Mit dem parallel im parlamentarischen Verfahren befindlichen Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune (Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz – GVSG) sollen medizinisch nicht notwendige Arzt-Kontakte durch Einführung einer Versorgungspauschale bei chronisch kranken Versicherten eigentlich verringert werden. Das GHG konterkariert diesen Ansatz.
Auch die geplante Öffnung der DMP für Versicherte mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko lehnt der vdek ab, da dies mit der bisherigen Systematik bricht, strukturierte Behandlungsprogramme an chronisch kranke Menschen ab dem Zeitpunkt der Diagnosestellung zu richten. Eine Erweiterung des Patientenkreises um gesunde Versicherte führt unweigerlich zur Einschreibung eines hohen Anteils der Bevölkerung und wird ebenfalls zu einer Überversorgung und Überlastung in den Arztpraxen führen. Die zusätzliche Einführung eines neuen krankheitsübergreifenden DMP, das sich an Versicherte mit behandlungsbedürftigen Risiken für die Manifestierung oder Verschlechterung einer Herz-Kreislauf-Erkrankung richtet, führt zu weiteren Doppelstrukturen und unkontrollierbaren bürokratischen Aufwänden.
Der Kabinettsentwurf sieht weiterhin eine verpflichtende Umsetzung von neuen DMP innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des entsprechenden Beschlusses des G-BA vor. Die vorgegebene Frist lehnen die Ersatzkassen ab. Sie streben bereits jetzt eine schnellstmögliche, bundesweite Umsetzung der DMP an. Auf die dafür nötige Anpassung der zertifizierten Softwareprodukte der Ärzte und andere umfangreiche technische und organisatorische Voraussetzungen, welche die Implementierung verzögern, haben die Krankenkassen jedoch keinen Einfluss.
Nicht zuletzt kritisiert der vdek weiterhin den Eingriff in die Zuständigkeit der Selbstverwaltung. Aus gutem Grund obliegt dem G-BA die Aufgabe, über geeignete Therapien, Medikamente und Vorsorgeuntersuchungen auf Grundlage der Methoden der evidenzbasierten Medizin zu entscheiden und dabei die Interessen der Patientinnen und Patienten und der Beitragszahlenden ins Zentrum zu rücken. Im Gegensatz zum Referentenentwurf wurde dem G-BA im Kabinettsentwurf die Festlegung und Ausgestaltung von Früherkennungsuntersuchungen bei Kindern, Check-Ups bei Erwachsenen und die Verschreibung von Statinen zwar wieder zugewiesen, jedoch in einem zu engen Korsett. Der Gesetzgeber weitet seine Kompetenzen mit den detaillierten Vorgaben in unzulässiger Weise aus und greift damit in konkretes ärztliches Handeln ein. Wann Patientinnen und Patienten eine medikamentöse Therapie mit Statinen erhalten, sollte allein auf Basis der medizinischen Evidenz festgelegt werden. Auch der Plan, Vorsorgeuntersuchungen per Gesetz anzuordnen, stellt einen Systembruch dar und wird strikt abgelehnt.
Finanzierungswirkung
Insgesamt stellt der vdek fest, dass trotz des erheblichen Finanzierungsdefizits der GKV Mehrausgaben verursacht werden, die ohne Gegenfinanzierung bleiben und zwangsläufig zu Leistungskürzungen in der Prävention und Gesundheitsförderung führen. Beispielsweise kann der vdek die vom BMG prognostizierten jährlichen 10 Millionen Euro Mehrausgaben durch das Gesetz in keiner Weise nachvollziehen. Allein die zusätzlichen Ausgaben für Arzneimittel zur Tabakentwöhnung werden auf mindestens 200 Millionen Euro jährlich geschätzt. Das GHG hat damit erhebliche Beitragssatzrelevanz für die GKV und ist keineswegs kostenneutral. Insbesondere mit Blick auf die äußerst angespannte finanzielle Lage der GKV, die in den letzten Jahren durch ähnlich ausgabenträchtige Gesetze verschärft wurde, lehnen die Ersatzkassen den Gesetzentwurf ab.
30.10.2024