Stellungnahme zum Gesundes-Herz-Gesetz (GHG)

Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Herzgesundheit
Symbolbild: Herzgesundheit

» Nähere Informationen zum Gesundes-Herz-Gesetz finden Sie hier.

Der am 19. Juni 2024 offiziell vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) versandte Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Herzgesundheit sieht eine Reihe von Maßnahmen vor, die darauf abzielen, die Früherkennung von kardiovaskulären Erkrankungen zu verbessern und gefährdeten Personen Angebote für eine frühzeitige Behandlung zu eröffnen.

Der vdek sieht die vom BMG vorgeschlagenen Maßnahmen zur Verbesserung der Inzidenz kardiovaskulärer Erkrankungen als wenig erfolgversprechend an und lehnt zentrale Teile des Entwurfs deshalb ab. Der organbezogene Ansatz und die Behandlung mittels medikamentöser Intervention sind nicht zeitgemäß. Sie widersprechen auch den wissenschaftlichen Erkenntnissen, denen zufolge Screenings wenig wirksam sind und der Schwerpunkt erfolgreicher Arbeit in der Prävention bei der Verhältnisprävention liegen sollte. Dies bestätigt im Übrigen eine gerade veröffentlichte Studie des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), die im Auftrag des BMG durchgeführt wurde. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Menschen mit höheren Gesundheitsrisiken, die das ambulante Versorgungssystem nicht in Anspruch nehmen, Angebote der allgemeinen Gesundheitsuntersuchungen („Check-ups“) seltener nutzen.

Wie andere Gutachten bereits konstatieren, ist durch die avisierten Maßnahmen nicht mit einer besseren Compliance seitens vulnerabler Zielgruppen zu rechnen. Gerade dort bedarf es vielfältiger Zugänge zu Angeboten der Gesundheitsförderung sowie einer grundsätzlichen Förderung von mehr Selbstfürsorge, die durch Primärprävention und Gesundheitsförderung gestärkt werden kann (etwa durch Resilienzförderung). So können erst die Grundlagen für mehr Selbstfürsorge und in der Folge auch für Therapie-Compliance geschaffen werden. Der Entwurf lässt sozialwissenschaftliche wie gesundheitspsychologische Erkenntnisse außer Acht und verfolgt insgesamt einen technokratischen Ansatz.

Nutzen, Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit von neuen Früherkennungsuntersuchungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene sollten durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) überprüft werden. Der G-BA trifft seine Entscheidungen aufgrund der Bewertung der aktuellen wissenschaftlichen Evidenz. Hierdurch wird sichergestellt, dass die Früherkennungsuntersuchungen den höchstmöglichen Nutzen erzielen, ohne die solidarisch finanzierte Gesundheitsversorgung zu überfordern. Daher sollte auch die Prüfung der möglichen Einführung eines generellen Lipidscreenings in die Kinder- und Jugenduntersuchungen durch den G-BA erfolgen.

Der Gesetzgeber greift hier einem aktuellen Arbeitsauftrag des IQWiG vor. Das Institut ist gerade dabei, den aktuellen Stand der Studienlage zu einer Früherkennung von familiären Fettstoffwechselstörungen bei Kindern und Jugendlichen zu bewerten. Die Ergebnisse werden noch im Sommer 2024 erwartet und sollten wie üblich als Entscheidungsgrundlage für den G-BA dienen.

Der zielgerichtete Einsatz von Statinen ist sinnvoll und wichtig. Wann Patient:innen eine medikamentöse Therapie mit Statinen erhalten, wird nach dem aktuellem Wissensstand in medizinischen Leitlinien von Expert:innen festgelegt. Es ist ein Novum, wie detailliert der Gesetzgeber in konkretes ärztliches Handeln eingreifen will. Im Entwurf wird beispielsweise dargelegt, wann Versicherte Anspruch auf die Versorgung mit Statinen haben. Dieses Vorgehen ist abzulehnen.

Das Ansinnen, bei der Prävention Leistungen zu kürzen, indem Präventionsmittel der GKV hierfür in den Versorgungssektor umgelenkt werden, ist ebenfalls deutlich zu kritisieren. Die GKV bietet ihren Versicherten einen niedrigschwelligen Zugang zu 110.000 verschiedenen evidenzbasierten Präventionskursen. Davon entfallen 59.000 auf Bewegungskurse und nahezu 46.000 Kurse auf Stress- und Ressourcenmanagement. Die Qualität und Wirksamkeit jedes einzelnen Kurses wurde bundesweit einheitlich durch eine eigene Institution der GKV (Zentrale Prüfstelle Prävention) geprüft. Die Versicherten können Angebote aus den Handlungsfeldern Bewegungsgewohnheiten, Ernährung, Stress- und Ressourcenmanagement sowie Suchtmittelkonsum auswählen und direkt Kontakt zum Anbieter aufnehmen. Auf Wunsch des Gesetzgebers wurden die Präventionsaktivitäten 2015 deutlich ausgebaut und professionalisiert. Es ist nicht nachvollziehbar, warum diese Struktur nun zurückgebaut werden soll. Die beigefügte Übersicht (Anlage) verdeutlicht, die zum Teil drastischen Konsequenzen und zeigt auf, in welchem erheblichen Umfang Kurse zukünftig wegfallen werden und etablierte Strukturen und Kooperationen zur Unterstützung eines gesunden Lebensstils eingerissen werden.

Die Gestaltung der Versorgung per Verordnungsermächtigung ist ein weiterer Schritt in Richtung Staatsmedizin. Der Gesetzgeber weitet damit seine Kompetenzen in unzulässiger Weise aus. Die Gestaltung der Versorgung obliegt aus gutem Grund dem G-BA. Dort kann auf der Basis der Auswertung wissenschaftlicher Erkenntnisse eine reflektierte Abwägung von Kosten und Nutzen erfolgen, bei der die Interessen der Patient:innen und der Beitragszahlenden im Zentrum stehen. Mit diesem Gesetz soll die dem G-BA zugewiesene Aufgabe, den Leistungsanspruch auf der Basis der bestmöglichen wissenschaftlichen Erkenntnisse näher auszugestalten, ganz offensichtlich unterlaufen werden.

Die Schaffung eines neuen Disease-Management-Programms (DMP), das Versicherte allein aufgrund eines erhöhten Risikos einbezieht, bricht mit der bisherigen Systematik, strukturierte Behandlungsprogramme an chronisch kranke Menschen ab dem Zeitpunkt der Diagnosestellung zu richten. Eine Erweiterung des Patient:innenkreises um Versicherte mit bestehendem hohen Risiko für die Manifestation einer DMP-Indikation würde zur Einschreibung eines hohen Anteils der Bevölkerung führen, was eine Überversorgung und Überlastung in den Arztpraxen zur Folge hätte. Die zusätzliche Einführung eines neuen krankheitsübergreifenden DMP, das sich an Versicherte mit behandlungsbedürftigen Risiken für die Manifestierung oder Verschlechterung einer Herz-Kreislauf-Erkrankung richtet, führt zu weiteren Doppelstrukturen und unkontrollierbaren bürokratischen Aufwänden. Daher wird eine diesbezügliche Öffnung der DMP abgelehnt.

Die Ersatzkassen streben bereits jetzt eine schnellstmögliche, bundesweite Umsetzung der DMP an. Dies kann jedoch aufgrund von zwingend erforderlichen technischen und organisatorischen Voraussetzungen zeitlich stark variieren. Dazu zählen beispielsweise die Anpassung der Krankenkassensysteme sowie der zertifizierten Softwareprodukte der Ärzte. Auf letzteres haben die Krankenkassen keinen Einfluss. Daher ist die vorgesehene Frist von einem Jahr nicht zielführend. Statt der umfassenden ordnungspolitischen Eingriffe sollte der Fokus auf einen gezielten Bürokratieabbau und Prozessoptimierungen gelegt werden.

Auch im Hinblick auf neue pharmazeutische Dienstleistungen gilt, dass neue Leistungen für die Versicherten einen Nutzen haben und einen Mehrwert in der Versorgung bringen sollen, d. h. die Grundsätze der Evidenzbasierung sollten dafür Anwendung finden. Dieser Pfad wird hier durch die gesetzliche Definition verlassen und verhindert, dass die Selbstverwaltung angemessene Lösungen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse, die beständig im Wandel sind, findet. Darüber hinaus ist mit dieser Regelung zu befürchten, dass es zu Doppelabrechnungen der gleichen Leistung bei verschiedenen Leistungserbringern kommt. Ebenso fehlt auch hierbei die Rückkopplung mit dem behandelnden Arzt.

Abgelehnt wird, dass die gesetzlichen Regelungen zur medikamentösen Therapie zur Reduzierung des Tabakkonsums ausgeweitet werden sollen. Die aktuell bestehenden gesetzlichen Regelungen zur medikamentösen Tabakentwöhnung durch den G-BA wurden bisher noch nicht umgesetzt und daraus resultierende Effekte sind bisher nicht bewertbar. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Nachschärfung der Regelung zu früh.

Auch die gestufte Leistungserweiterung im Bereich der Gesundheitsuntersuchung (GU, sogenannter „Check-up“) mit einem schriftliches Einladungswesen durch die jeweilige Krankenkasse wird kritisch gesehen. Auch wenn eine Steigerung der Check-up-Quote grundsätzlich wünschenswert wäre, steht der entstehende Kostenaufwand durch postalische Einladungsschreiben in keinem Verhältnis zum medizinischen Nutzen. Auch die Notwendigkeit der Ausstellung eines persönlichen Gutscheins für die Inanspruchnahme pharmazeutischer Dienstleistungen kann nicht nachvollzogen werden.